Muschelseide
nächtliche Gewässer huscht, bevor die Finsternis es schluckt. Und als sich Gaetano zu uns gesellte, als er den Kellner rief, Champagner bestellte, war mein Glück in jeder Weise vollkommen. Bisher war ich – die meiste Zeit meines Lebens – mit mir selbst alleine gewesen. Aber Gaetano hatte nie gewollt, dass ich abhängig von ihm wurde, er hatte Widerstand und Ungehorsam in mir geweckt.
»Habe ich euch im Gespräch gestört?«, fragte er lustig. »Wir unterhielten uns«, sagte ich, »über Madame Butterfly.«
»Ich hätte nichts dagegen«, meinte Gaetano, »meine Tage in der Oper zu verbringen. Als Knabe war ich ein guter Sopran und wäre am liebsten Sänger geworden. Habe ich dir das nie erzählt, Saburo? Oh, wirklich nicht?«
Dieser schüttelte lachend den Kopf.
»Dein Vater hätte wohl etwas dagegen gehabt.«
Es lag viel Jungenhaftes in Saburos Gesicht, sodass man im Zweifel sein konnte, wie alt er eigentlich war. Seine Augen, die ich verstohlen betrachtete, schimmerten ausdrucksvoll und warm. Die Iris waren groß und goldbraun und wurden von dem dunklen Ton seiner Haut noch betont.
Gaetano reichte ihm ein Glas.
»Oh, ja. Mein Vater wollte mich im Bankgeschäft haben. Aber ich habe ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem ich zur Marine ging. Jetzt bin ich nur noch mit Überleben beschäftigt, das habe ich davon. Es kann gut sein, dass dieser Krieg Hackfleisch aus uns macht.«
Er hob sein Glas und stieß mit Saburo an.
»Auf unser Überleben!«
Sie tauschten einen langen Blick. Ich spürte plötzlich, wie ich fröstelte, und zog die Muschelseide enger um meine Schultern. Aber inzwischen hatte ich Pflichten. Etliche junge Männer hatten ihre Unterschrift in mein »Carnet de Bal« gekritzelt. Und so wirbelte ich in ihren Armen über die Tanzfläche, lachte, plauderte fröhlich, wie es sich gehörte. Doch wie unangenehm heiß fühlten sich ihre Hände an, wie fade und langweilig waren ihre Gespräche! Manche, die Söhne reicher Eltern, die Karrieremacher und Emporkömmlinge, nahmen, gewiss unbewusst, eine Besitzerhaltung ein, die mir missfiel. Als Gastgeberin durfte ich auch die weiblichen Gäste nicht vernachlässigen. Im »Boudoir« tupften wir uns den Schweiß aus den erhitzten Gesichtern, benutzten das bereitgestellte Nachtgeschirr, ordneten unsere Frisur und atmeten »Acqua di Parma« ein, das wir auf unsere Taschentücher träufelten. Freundinnen und Kusinen bewunderten meinen Schal, strichen mit klammen Handflächen über das kostbare Tuch. Und immer wieder, während ich tanzte oder plauderte, sah ich aus den Augenwinkeln Saburo und Gaetano, die leise und ernst miteinander sprachen. Es tagte allmählich, die Gesichter wurden bleich, die Gespräche träge. Das Quartett spielte langsame Weisen, und immer weniger Paare tanzten. Die älteren Gäste brachen als Erste auf, eine Gruppe Menschen nach der anderen folgte. Die Pferdedroschken warteten, um die Gäste nach Hause zu bringen, die Motoren der Automobile sprangen laut röhrend an. Durch die Fenstertüren sah ich den Himmel grün werden, hörte im Garten das erste, noch unsichere Zwitschern der Vögel, die den nahenden Morgen verkündeten. Ich stand, in meine Muschelseide gehüllt, mit Wehmut im Herzen, starrte in die dunklen Büsche. Ich atmete in tiefen Zügen die würzige Luft ein, als ich neben mir Gaetanos Stimme hörte.
» Cecilia, du bist müde.«
»Ein wenig.«
Ich wandte mich nach ihm um, mit einem kleinen, traurigen Lächeln auf den Lippen. Saburo stand neben ihm, in seiner ernsten, bescheidenen Art. Der Augenblick des Abschieds war gekommen. Ich wollte ihm die Hand reichen, ihm danken, dass er mein Gast gewesen war, vielleicht noch erwähnen, wie sehr ich unsere Unterhaltung geschätzt hatte. Doch Gaetano sprach weiter, im heiteren Plauderton.
»Kleine Schwester, ich gab Timeo den Auftrag, Saburo in unserem Coupé zum Hafen zu fahren. Da man uns jedoch zehn Tage Urlaub gewährt – knauserig gemessen nach alldem, was wir durchgestanden haben –, machte ich Saburo den Vorschlag, ihm ein wenig unsere schöne Insel zu zeigen. Würde es dir Spaß machen, uns zu begleiten?«
25. Kapitel
S o fing es an. Und jetzt, da alles vorbei ist, da ich um die beiden Menschen trauere, die ich am meisten geliebt habe, frage ich mich, warum ich mein kurzes Glück so teuer bezahlen musste. Doch mir fehlt die Kraft, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Ich muss meine Kraft für das Kind aufbewahren. Saburos und meine Geschichte endete,
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