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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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bauen ein schützendes Haus um das wahre Wesen in uns, lachen aber viel unter vertrauten Menschen und sind selten richtig unglücklich.«
    Ich spürte eine leichte Verwunderung aufsteigen.
    »Erzählen Sie jungen Damen immer solche vertraulichen Dinge?«
    Er schien ein wenig zu stutzen.
    »Entschuldigen Sie. Und Sie haben recht. Nein, solche vertraulichen Dinge erzähle ich eigentlich nie.«
    »Warum also mir?«, fragte ich.
    Er kniff die Augen zusammen. Er hatte den ruhigen Blick eines Seemannes, gewohnt, in weite Ferne zu starren.
    »Vielleicht, weil Gaetano mein Freund ist und oft von Ihnen gesprochen hat. Deswegen ist mir, als ob ich Sie bereits kenne.«
    Ich antwortete viel freimütiger, als es mir eigentlich gestattet wäre.
    »Ich habe auch das Gefühl, dass ich Sie kenne. Aber das ist, weil Sie Gaetano so ähnlich sehen.«
    Er zeigte wieder sein reizendes Lächeln.
    »Takeo – mein älterer Bruder – machte mich schon darauf aufmerksam.«
    »Der Arzt?«, fragte ich.
    »Ich stelle fest«, erwiderte er, »dass Ihnen Gaetano schon einiges erzählt hat. Ja, Takeo ist Schiffsarzt auf unserem Kreuzer Matsu . Er hat ein gutes Auge für Dinge, die mir entgehen. Ich habe meinem Bruder nicht geglaubt. Jetzt frage ich mich, ob ich nicht etwas mondsüchtig bin.«
    »Oh, diesen Eindruck machen Sie keineswegs!«
    Wir lachten beide. Der Walzer war zu Ende. Wir gingen zusammen zu einem Sofa und setzten uns. Es war sehr heiß; ich fächerte mir Luft zu. Saburo blinzelte amüsiert.
    »Nicht nur japanische Damen, auch Herren benutzen Fächer. Haben Sie das gewusst?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich weiß nichts. Erzählen Sie mir ein bisschen.« Er lächelte.
    » Sie machen es mir nicht leicht. Was soll ich Ihnen erzählen? Vielleicht, dass sich in unseren Städten das Alte und das Neue mischt? Dass wir Vernachlässigung und Zerfall wenig schätzen? Dass wir Errungenschaften, die uns entsprechen, schnell übernehmen, woher auch immer sie kommen? Und – ja, wir haben Hochhäuser in Japan, Telefon und Gasheizung und ein gut ausgebautes Netz von Eisenbahnen. Wir besuchen Konzerte und Opern, in den Großstädten kleiden sich die Herren in Gehrock und Frack. Und die Damen, falls sie nicht Kimono tragen, lassen sich ihre Kleider nach Pariser Vorbild zuschneiden.«
    Ich hielt die ganze Zeit das Gesicht ein wenig von ihm abgewandt; man hatte mir beigebracht, den Männern nicht direkt in die Augen zu schauen. Dass Frauen selten zu ernsten Gesprächen herangezogen wurden, hatte ich längst erfahren. Die Männer sprachen zu mir, wie sie zu einem Kind gesprochen hätten, mit einem Lächeln auf den Lippen, das nicht echt war. Nur Gaetano nahm mich wichtig und ernst. Bisher war er der Einzige gewesen. Und nun sprach dieser Fremde zu mir, als ob er sagen wollte: Es ist kein Auge wichtig, das auf dir ruht, denn deins ist wichtig genug.
    Ich fragte nachdenklich:
    »Zeigt ›Madame Butterfly‹ das echte japanische Leben?«
    Er nahm mir auch diese – zugegeben recht naive – Frage nicht übel, sondern antwortete ernst.
    »Opern stilisieren das wirkliche Leben. Madame Butterflys traurige Geschichte hätte sich wahrhaftig zutragen können. Wir Japaner nehmen Gefühle sehr wichtig. Wir empfinden tief, und manchmal – ja –, da wählen wir das Opfer als einzigen Weg, um ein Unrecht wiedergutzumachen. «
    »Weil Madame Butterfly von ihrem Geliebten verlassen wurde?«
    »Er hatte ihren Stolz unterschätzt. Madame Butterfly ist eine ›Geisha‹, eine hochgebildete Künstlerin. Für sie ist die Liebe eine Verpflichtung, ein heiliges Band. Aber ihr amerikanischer Geliebter wollte sich lediglich amüsieren. Puccini wusste, dass es für eine Geisha keine größere Erniedrigung gibt, als wie eine Kurtisane behandelt zu werden. Sie bezeugte ihren Stolz mit ihrem Tod. Ob der Amerikaner die Zurechtweisung verstand, bleibt freilich ungeklärt.«
    Wie gut er zu sprechen weiß, dachte ich, mit dieser leisen, klaren Stimme, die Gaetanos Stimme so ähnlich war.
    »Ich glaube«, sagte ich, »dass ich die Oper jetzt besser verstehen kann.«
    Er schüttelte langsam den Kopf.
    »Sie sagten mir, dass Sie geweint haben. Das bedeutet, dass Sie bereits alles verstanden hatten.«
    Ich lächelte still und fügte ihn endgültig der vielschimmernden, exklusiven Welt ein, die um Gaetano und mich kreiste – in unserem Suchen nach allem Schönen und Echten. Eine zarte Realität war zwischen uns am Entstehen, heimlich leuchtend wie ein Irrlicht, das feenhaft über

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