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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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militärischen Lehnsadel. Aber 1868 brach in Japan der Restaurationskrieg aus, das Feudalsystem wurde abgeschafft. Die Familie verlor dabei einen Großteil ihres Vermögens. Saburos Eltern trauern dieser Zeit nicht nach, sie denken sehr fortschrittlich. Sein Vater, ein angesehener Augenarzt, starb leider vor einigen Jahren. Der älteste Sohn wurde Chirurg, Saburo absolvierte die Militärakademie. Er hat noch einen jüngeren Bruder und eine Schwester in deinem Alter, die eine Missionsschule in Tokio besucht. Die Araki sind nämlich Christen, und das seit Generationen. Wenn du Saburo einen Walzer schenkst, wird er dir bestimmt mehr erzählen.«
    »Tanzt er denn?«, fragte ich überrascht.
    »Aber gewiss. Seit der Restauration hat sich das Erscheinungsbild des Landes sehr verändert. Das gesellschaftliche Leben unterscheidet sich weniger von dem unsrigen, als angenommen wird. Auch sind die Wechselbeziehungen zwischen Japan und Europa sehr intensiv.«
    »Schön«, sagte ich. »Du weißt, mir liegt nicht viel an den üblichen Reisebeschreibungen.«
    »Das weiß ich wohl. Und es wird nicht besser!«
    Gaetano zwinkerte mir zu, bevor sein Gesicht wieder ernst wurde.
    » Schwesterchen, ich habe viele Freunde. Aber Saburo ist der einzige, mit dem ich echte Gespräche führen kann.«
    Der Walzer war zu Ende. Gaetano nahm mich bei der Hand und führte mich zu Saburo, der sich mit meinem Vater unterhielt. Als wir uns näherten, unterbrachen beide Herren ihr Gespräch, und Gaetano sagte:
    » Saburo, Cecilia würde gern mit dir tanzen, fürchtet jedoch, ich sei eifersüchtig. Ich versprach ihr, dir nicht in den Upper Barakka Gardens, wenn alles noch schläft, die Wahl der Waffen zu überlassen.«
    Saburo lachte herzlich. Ich sah seine hübschen Zähne blitzen. Beide tauschten einen Blick, und da wusste ich, warum mir der junge Japaner so vertraut vorkam. Er glich Gaetano auf nahezu verwirrende Art. Saburo hatte dieselben hohen Wangenknochen, die gerade Nase, die schön geschwungenen Lippen, kaum, dass seine Hautfarbe etwas dunkler war. Er hatte auch den gleichen Ausdruck im Gesicht, diese seltene Mischung aus Skepsis, Traurigkeit und distanziertem Spott. Ich glaubte plötzlich zu verstehen, warum beide Männer befreundet waren. Da ließ das Quartett einen neuen Walzer erklingen, mein Vater trat lächelnd zurück, und Saburo verbeugte sich vor mir. Seine Hand legte sich leicht und sanft um meine Taille. Saburos Bewegungen waren ein wenig steifer, zögernder als die Gaetanos. In ihm war eine Schüchternheit, die auf merkwürdige Weise meiner eigenen Schüchternheit entsprach. Wir tanzten, während er an mir vorbeisah, als ob er es vermeiden wollte, meinem Blick zu begegnen. Schließlich brach ich das Schweigen. Und wieder war es die Befangenheit, die mich zu einer absonderlichen Bemerkung führte.
    »Sie sehen Gaetano wirklich sehr ähnlich.«
    Da blickte er mir ins Gesicht. Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln. Er antwortete in seinem leisen, klaren Englisch.
    »Nun, wir sind gleichaltrig. Und wir haben herausgefunden, dass auch unser Leben einiges Gemeinsames hat.«
    Allmählich gewann ich meine Selbstsicherheit zurück und begann, ganz gelöst mit ihm zu plaudern.
    »Das sagte auch Gaetano, aber ich kann es mir schlecht vorstellen. Sie kommen von so weit her. Das Einzige, was ich von Japan weiß, ist, wo es auf dem Globus liegt. Ach ja, und da ist noch diese neue Oper von Puccini, Madame Butterfly. Die Musik ist wunderschön, die Geschichte aber so traurig, dass ich weinen musste.«
    Er nickte.
    »Puccini hat Japan besucht und ließ sich bei einigen Arien von unseren Volksliedern inspirieren. Unsere Musik ist sehr melancholisch. Das liegt in unserer Natur. Wir lieben das Leben, aber Pflichterfüllung und Stolz werden bei uns sehr wichtig genommen.«
    »Hier ist es nicht wesentlich anders.«
    »Ja, mir ist es bereits aufgefallen.«
    »Woran mag es liegen, was meinen Sie?«
    »An der Politik, am Zeitgeist. An unserer Erziehung. Wir können unsere Gefühle nur dadurch schützen, dass wir sie hinter Förmlichkeiten verbergen, die auf den ersten Blick sehr steif wirken.«
    »Ach«, rief ich lebhaft, »bringen Sie das fertig? Ich – das sage ich Ihnen ehrlich – nicht immer!«
    Er lächelte.
    »Möglicherweise sind wir Japaner darin begabter als andere. Wir haben im Laufe der Jahrhunderte eine ganz fabelhafte Technik entwickelt, in aller Stille unabhängige Gedanken zu hegen. Denken Sie nicht, dass wir spießig seien. Wir

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