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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Glut aus; nur da, wo kleine Quellen flossen, zeigten Mandel- oder Obstbäume die ersten Knospen. Wir ritten durch Dörfer, an den steinigen Hügelhang gebaut, stillten unseren Durst an uralten, sagenumwobenen Brunnen. Wir überquerten schlammige Flussbetten, wo gelb der junge Ginster wuchs. Das Meer war blau wie eine Glockenblume; Kriegsschiffe in großer Zahl lagen vor der Küste oder zogen langsam in der Ferne vorbei. Ich hielt mein Opernglas an die Augen, wunderte mich, dass es so viele waren.
    Gaetano erklärte, dass unser Geschwader zu den größten der Weltgeschichte gehörte. Er nannte mir die Zahlen, er hatte sie gut im Kopf:
    »Wir haben 50 Schlachtschiffe, 550 Zerstörer, 109 Torpedoboote, 171 U-Boote und 272 Schleppschiffe, ganz abgesehen von den Truppen- und Frachtschiffen. Überall in Südeuropa verfügen wir über feste Flottenstützpunkte. Eigentlich«, setzte er lachend hinzu, »brauchten sich unsere Feinde gar keine Mühe zu geben, ihre Sache ist ohnehin zwecklos!«
    Ich lachte mit ihm, doch es war nicht ganz echt. Es war wohl so, dass ich es wusste: Die Stunde würde einmal kommen. Ich ahnte, dass jeder glückliche Tag mich dem Abgrund des Todes näher brachte. Und – wie seltsam – ich spürte dabei, dass Saburo meine Empfindungen teilte. Das bestätigten mir seine Augen. Ich bin für gewöhnlich mutig und frech, doch Saburos dunkler Blick berührte die Wände des Herzens, trieb das warme Blut in mein Gesicht. Aber – was konnte ich tun? Der Krieg, der meinen Bruder weit weg von mir nahm, würde auch Saburo mitnehmen...
    So vergingen vier Tage. Am fünften Tag hatten wir einen Ausritt zu den nahen Schwesterstädten Rabat und Mdina geplant, damit Saburo die alten Paläste, die Città Vecchia und die berühmten St.-Pauls-Katakomben sehen konnte. Doch frühmorgens traf ein Bote aus Comino ein, wo wir ein kleines Lehnsgut besaßen. Der alte, treue Pächter war unerwartet gestorben. Zwischen seinen beiden Söhnen war ein heftiger Streit ausgebrochen, wer das Gut nun weiterführen sollte. Vater hörte die Nachricht sehr ungern, war er doch mit anderen Dingen beschäftigt. Außerdem waren die Söhne für ihren hitzigen Charakter bekannt. Vater baute darauf, dass Gaetano als führungsgewohnter Offizier mehr Strenge aufbringen konnte, um den Streit zu schlichten. So machte sich Gaetano zu Pferd auf den Weg nach Cirkewwa, wo er die Fähre nehmen würde. In drei Tagen würde er zurück sein, gerade rechtzeitig für seine Einschiffung. Dass er seinen Urlaub dabei opferte, fiel nicht ins Gewicht, denn er musste Vater zur Seite stehen. Zu mir sagte er traurig:
    »Ich fürchte, kleine Schwester, unsere schöne Zeit liegt hinter uns. Teile Saburo mit, dass ich ihn auf der Transylvania sehen werde.«
    Alles geschah in Eile, mein Vater rief ihn in sein Arbeitszimmer, musste ihm noch Papiere aushändigen. Ich umarmte Gaetano zum Abschied, drückte ihn fest an mich. Indessen, Saburo gehörte nicht zur Familie, und der »gute Ton« hätte nun verlangt, dass auch ich auf den Ausflug verzichtete. Doch alle waren beschäftigt, und die Droschke, die uns nach Floriana bringen sollte, würde gleich kommen. Ich hatte nur einen Gedanken: fort von hier, schnell, bevor jemand daran dachte, mich aufzuhalten. Zu meinen Hosen wählte ich hastig eine Bluse aus Seidenkrepp und eine kurze, perfekt geschnittene Jacke. Den Schal aus Muschelseide, den ich mir angewöhnt hatte, täglich zu tragen, band ich mir fest um den Hals. Da hörte ich schon den Wagen vor die Haustür rollen. Ich rannte die Treppen hinunter, meinen kleinen schwarzen Hut noch in der Hand. »Zu den Reitställen!«, befahl ich dem Kutscher Timeo, der mit der Peitsche auf den Knien auf dem Bock saß. Späteren Vorwürfen konnte ich immer noch mit dem Einwand begegnen, Gaetano hätte mich mit einer Botschaft zu Saburo geschickt. Die Fahrt war nur kurz, die drei Pferde standen schon gesattelt im Hof. Saburo war schon da und begrüßte mich mit einem fragenden Ausdruck im Gesicht.
    »Danke«, sagte ich zu dem Reitknecht, der Gaetanos Pferd hielt, »wir reiten heute allein.«
    Der Reitknecht half mir, in den Sattel zu steigen. Während Saburo und ich die Pferde auf das Tor zulenkten, erklärte ich, was geschehen war. Saburo hörte schweigend zu. Dann sagte er:
    »Ich werde unsere Ausritte vermissen.«
    Ich erwiderte, nach kurzem Zögern:
    »Sie glauben mir vielleicht nicht. Aber diese Tage waren für mich die schönsten meines Lebens.«
    Er antwortete langsam:
    »Für

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