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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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noch bevor sie eigentlich begonnen hatte. Von Utopien davongetragen, schien uns damals kein Hindernis unüberwindbar. Doch jetzt bin ich erschöpft, in meinem Kopf kreisen träge und wirre Gedanken. Ich tauche in den Schlaf wie in tiefe Gewässer, um zu vergessen, was ich niemals vergessen kann. Im Grunde genommen kann ich nur aus der mir verbliebenen Klarsicht Hoffnung schöpfen. Ich wurde in dieser kurzen Zeit, die in meinem Leben vielleicht nur eine Sekunde ausmachte, inniger geliebt als viele Frauen, die auf ein langes, freudloses Dasein zurückblicken. Mit dieser Gewissheit tröstete ich mich.
    Wir trafen uns also in Cafés, unter luftigen Sonnenschirmen, bummelten gemeinsam durch die Straßen, die alle zum Meer führten. In Valletta ist der Morgen immer lebendig, voller Lärm und Bewegung. Ich trug meine Faldetta. Verwandelte sich die Brise in heftigen Wind, schien die Frühjahrssonne grell und brodelten die Staubwolken, zog ich die Faldetta als Schleier über den Kopf. Wir zeigten Saburo den Großmeisterpalast, den Tapestry-Saal mit seinen prachtvollen Gobelins, den Sitzungssaal des Parlaments, dessen Vorsitzender zwei Jahre lang mein Großvater gewesen war. Wir besuchten die Upper Barakka Gardens mit ihren Blumenbeeten und Springbrunnen. Wir lehnten uns über die warme Mauer, und ich blickte durch mein Opernglas auf den Great Harbour nieder. Meine Begleiter zeigten mir, wo die Transylvania und – etwas weiter am Hafeneingang – die Sakaki und die Matsu vor Anker lagen. Das Gewimmel der Soldaten und Seeleute, die Waffen und Material ein- und ausluden, erzeugte ein unentwegtes brummendes Geräusch, das uns aus der Entfernung an das geschäftige Treiben von Insekten denken ließ. Wir besuchten das Fort St. Elmo, wo 600 Verteidiger den Türken zum Opfer gefallen waren. Wir erlebten die Galavorstellung des »Maskenballs« in der ganz neuen Royal Opera und verglichen beim anschließenden Souper Puccini und Verdi. Wir besichtigten die Universität und die prachtvolle Jesuitenkirche, wo ich ziemlich verwundert sah, wie Saburo das Knie beugte und sich bekreuzigte. Er bemerkte mein Erstaunen; und als wir uns später im Café mit einer »Demi-Glace« erfrischten, sagte er lächelnd zu mir:
    »Der spanische Missionar Francisco Xavier führte die christliche Lehre bereits 1549 in Japan ein. Damals litt das Volk unter der feudalen Unterdrückung, und viele fanden im Christentum Trost. Ein paar Jahre später erteilte Fürst Oda Nobunaga den Missionaren die Erlaubnis, in der kaiserlichen Stadt Kyoto zu predigen. Unsere Familie – die Araki – gehörten zu den Ersten, die sich bekehrten.«
    »Wie kam das?«, wollte ich wissen.
    »Das Gebot der Nächstenliebe, der Glaube an hohe Ideale, an die Freiheit, standen in keinem Gegensatz zu unserer Ahnenverehrung. Doch als 1637 der Shogun Tokugawa Iemitsu die Macht ergriff, wurden die Christen verfolgt. Es brachen schwere Zeiten für uns an. «
    » In der Spätphase des römischen Imperiums flohen zahlreiche Christen nach Malta«, warf Gaetano ein. »Drohte Gefahr, versteckten sie sich in Katakomben, die noch heute bestehen.«
    »Auch die japanischen Christen«, erzählte Saburo, »mussten zeitweise auf die äußerlichen Zeichen des Glaubens verzichten. Sie verständigten sich durch Geheimworte und besondere Zeichen. Die Ziegel der japanischen Häuser sind mit Wappen- oder Blumenmustern versehen; trägt ein Dachziegel das Muster eines Fisches, wohnt eine christliche Familie dort. Auch unser Schloss, das in der Meiji-Restauration niederbrannte, zeigte einen solchen Ziegel. Wir bewahren ihn sorgfältig auf, als Andenken an eine vergangene Zeit und an tapfere Menschen, von denen einige für ihren Glauben ihr Leben verloren.«
    Saburo stellte seinerseits Fragen, und Gaetano erzählte von den tragischen Zeiten, als 1565 das türkische Heer Malta angriff, bis das heldenhafte Ausharren der Belagerten die Ordensstadt rettete. Es ist eine grandiose und grausame Geschichte, die man nicht anhören kann, ohne zu schaudern.
    Wir besaßen einige gute Pferde; die Stallungen befanden sich etwas außerhalb der Stadt, im Floriana, wo die Tiere weiden konnten. Gaetano ließ drei Pferde satteln, sodass wir zu längeren Ausflügen aufbrechen konnten. Beide Männer trugen Reitkleider mit eng anliegendem Wams und Schaftstiefeln. Auch ich ritt in Hosen und wusste, dass ich auf Flower, meiner rotbraunen Stute, im Männersattel eine elegante Figur machte. Im Frühling haucht die Insel noch keine dürre

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