Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
mich auch. Genauso.«
    Ich sprach weiter, den Blick auf Flowers wippende Ohren gerichtet.
    »Von Kindheit an war ich leichtfertig und sorglos. Doch weil ich älter werde und vielleicht auch, weil Krieg ist, habe ich sehr düstere Gedanken. Gegen manche Dinge rebelliert mein Herz. Meine Erziehung hätte mich blind machen sollen; ich kann es nicht sein. Die Grausamkeit des Lebens hat meine Augen geöffnet. Es scheint mir, als sei ich durch lange Erfahrung schon innerlich abgebrüht. Ich träume oft davon, mein Leben gegen ein anderes zu vertauschen, selbst auf die Gefahr hin, in mein Unglück zu rennen. Ich weiß nicht«, setzte ich verlegen hinzu, »warum ich Ihnen das erzähle. Meine Mutter würde sagen, dass ich vorlaut bin. Bin ich vorlaut, Saburo? «
    Sein gebräuntes Gesicht verkrampfte sich.
    »Ich wollte, ich brächte es fertig, so deutlich über meine Gefühle zu sprechen wie Sie. Wäre ich ein Dichter, könnte ich sie vielleicht in Worte fassen. Sehen Sie, uns Japanern fehlt die Unbekümmertheit. Wohl vermögen wir uns mit ganzem Herzen zu freuen, aber immer folgt dieser Freude der Gedanke: Es wird bald vorbei sein. Der Anblick einer Blume entzückt uns, aber wir seufzen dabei: ›Diese Blume wird morgen verwelkt sein.‹ Und so ist es mit allem. Es mag eine krankhafte Neigung sein, aber mitten in der Freude sucht unser Herz unabänderlich die Melancholie.«
    Ich fragte lebhaft:
    »Ach, waren Sie unglücklich in dieser Zeit?«
    Er antwortete, als schien er mit sich selbst zu sprechen.
    »Die Tage mit Ihnen wehten in mein Herz den Hauch tiefer Freude. Die Zurückhaltung, die uns anerzogen wird, begann nachzulassen. Obwohl meine Gefühle zu nichts führen, trage ich heute mehr Begeisterung in mir, weil ich einen Menschen traf, der wie die Kirschblüte in Freiheit und Natürlichkeit erblüht.«
    Auf diese Weise hatte noch niemand – ja selbst Gaetano nicht – zu mir gesprochen. Ich wurde rot und blickte auf meine Hände.
    »Gewiss necken Sie mich jetzt! Das ist unfair.«
    »Nein«, erwiderte er, »ich meine es ernst. Die Kirschblüte ist unsere schönste Blume, weil sie niemals welkt. Der Wind zerstreut die noch frischen, duftenden Blütenblätter und verwandelt sie in schwebende Wolken. Bei uns ist die Kirschblüte gleichsam Symbol des Frühlings und Symbol des Todes. Der junge Krieger wird dahingerafft in der Blüte seines Lebens.
    Einer unserer berühmtesten Dichter schrieb folgende Zeilen:
    ›Ich möchte unter den Kirschblüten sterben
    Im blühenden Frühlingsmonat
    Wenn es Vollmond ist.‹«
    Das Gedicht, das er langsam für mich übersetzte, verwirrte mich. Ich wandte den Kopf und sagte rau:
    »Bitte, hören Sie auf. Möchten Sie mich zum Weinen bringen?«
    »Nein, das möchte ich nicht«, antwortete er rasch. »Es tut mir sehr leid, wenn ich Sie traurig mache. Es sind Gefühle, die uns geschenkt werden, die in unserem Herzen sind.«
    Ich zwang mich zu einem Lächeln.
    »Bei uns im Garten wächst ein Kirschbaum, der schon Knospen trägt. Erblühen die Kirschen, werde ich an Sie denken.«
    Wir schwiegen, denn wir ritten einen Hügel empor, und die Hufe schlugen gegen die Steine. Rabat und Mdina kamen in Sicht mit ihren alten Bauten, ihren verschwiegenen Gärten hinter den hohen Mauern, die schwingenden Kirchenglocken, die die blaue Luft in Bewegung brachten, Wolken von Schwalben aufscheuchend. Wir wanderten zu Fuß durch die einsamen Straßen, führten unsere Pferde am Zügel. Wir kamen an der Piazza vorüber, wo die Droschken im Schatten der Platanen warteten. Für eine Münze würde ein Kind die Pferde hüten. Die barocken Kirchen bröckelten ab, ihre Pracht war müde, die Fresken waren blass und leblos, der Marmorboden, unter denen die Gebeine vieler Bischöfe ruhten, stumpf. Wieder draußen, blendete uns die Sonne. Eine Bank im Grünen lud zum Verweilen ein. Ein Straßenverkäufer näherte sich. Wir kauften ihm Limonade ab. Als ich getrunken hatte, fühlte ich mich erfrischt und sagte zu Saburo: »Sie erzählten von Japan, das sich begierig dem Neuen öffnet. Wir Maltesen im Gegenteil misstrauen jeder Veränderung. Ich leide darunter und kämpfe, weil ich einen starken Willen und viel Energie habe. Aber in zehn Jahren werde ich eine dicke Matrone sein mit fünf Kindern und zahlreichen Pflichten, die mir die Flausen austreiben. Doch vielleicht kommt der Krieg und vernichtet uns. Ja, der Krieg vernichtet alles. Ich bin jung, ich will leben, und ich habe große Angst vor dem Krieg.«
    »Ja«, sagte er

Weitere Kostenlose Bücher