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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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du gesehen? Das Tuch wurde zerschnitten.«
    »Ich sehe nichts. Oder denkst du dir das nur?«
    »Nein, nein!« Ich zeigte ihm die Stelle. Er sah mich fragend an.
    »Wieso? Was soll das?«
    »Tante Francesca sagt, ihre Mutter Cecilia hätte den Schal halbiert.«
    »Tatsächlich? Nein, das war doch albern. Und was geschah mit der anderen Hälfte?«
    » Cecilia soll das Tuch verschenkt haben.«
    »Ihrem Liebhaber?«
    »Das denke ich jedenfalls. Francesca behauptet, es nicht zu wissen. Aber sie will es nur nicht sagen.«
    »Das ist wohl so. Aber warum denn? Die Geschichte liegt doch fast hundert Jahre zurück.«
    »Es hat keinen Sinn, ihr Fragen zu stellen. Sie war ein uneheliches Kind, weißt du. Das gehörte sich nicht, in unserer Familie schon gar nicht. Du kannst dir das Drama vorstellen. Jedenfalls wurde Cecilia hinter Schloss und Riegel gehalten, solange sie das Kind erwartete. Sie starb bei Francescas Geburt.«
    »In Italien wurden solche Kinder oft fortgegeben und wuchsen bei Pflegefamilien auf. «
    »In Malta auch. Man zahlte Abfindung und Schweigegeld.
    Und später mussten die Kinder sehen, wie sie durchs Leben kamen. Und es ist schon eigenartig, dass Francesca, die ein Dickschädel war und gewiss keine rosige Jugend erlebte, als Tochter anerkannt wurde und den Namen Sforza trug.«
    Fabio pfiff zwischen den Zähnen hindurch.
    »Und von dieser spannenden Story sickerten nie Einzelheiten durch? Was sagt denn dein Vater dazu?«
    »Nicht viel. Seine Eltern hätten nie darüber gesprochen. Übrigens soll Cecilia ein Tagebuch hinterlassen haben. Aber Francesca hütet es wie ihren Augapfel.«
    »Hast du nicht gefragt, ob du es mal lesen könntest?« »Doch, natürlich. Sie sagt: ›Wenn mir der Sinn danach steht.‹ Und sie ist über neunzig.«
    »Dio mio!«, seufzte Fabio. »Hoffentlich steht ihr bald der Sinn danach.«
    Danach erzählte er mir einiges über die Frau, die wir am nächsten Tag besuchen würden.
    »Ihr Name ist Decima Ludovico. Sie stammt von der Insel Sant’ Antioco, wo das Weben von Muschelseide Tradition hat. Signora Ludovico besitzt keinen Computer, aber immerhin ein Telefon. Ich habe mich kurz mit ihr unterhalten. Am Anfang hatte ich Mühe, ihre sardische Sprache zu verstehen. Sie ähnelt der Spanischen, hast du das gewusst? Die Signora sagte zunächst, sie empfange schon lange keine Leute mehr bei sich. Dann begann sie plötzlich, ein recht gutes Italienisch zu sprechen. Die Sache interessierte sie offenbar. Sie erwartet uns also.«
    »Hast du ihr gesagt, dass ich einen Schal aus Muschelseide mitbringe?«
    »Das habe ich ihr gesagt.«
    »Nun, sie wird ihn ja sehen«, meinte ich.
    Er schüttelte den Kopf, mit einer Mischung aus Bedauern und Skepsis.
    »Sie wird ihn nicht sehen können. Sie ist blind.«

10. Kapitel
    D er Flug nach Cagliari ging um elf und dauerte knapp eine Stunde. Die Maschine startete auf die Minute genau und kam auch pünktlich an. Die Gipfel des Gennargentu trugen längst keinen Schnee mehr, und das Meer an der Küste war grün und schaumgekrönt. Es war heiß in Cagliari, diese glühende Hitze, die in der Sommerzeit den Süden brodeln lässt. Der Wind ließ die Steine kochen, die Palmen waren trocken und staubig, die Häuser strahlten zusätzliche Hitze aus. Cagliari in der Mittagszeit war still. Kein Hupen, kein Knattern der üblichen Vespas, kaum eine Stimme. Nicht einmal Katzen schlichen durch die Straßen. Nur einige leicht bekleidete Touristen saßen vor den Cafés in der prallen Sonne. Das Hotel »Stefano« befand sich auf einer mit Pinien bewachsenen Anhöhe, wo die Luft frischer war. Vom Balkon aus war das Meer sichtbar, ein Postkartenblick. Ich lehnte mich über die Brüstung und wich schnell zurück: Das geschnörkelte Schmiedeeisen glühte.
    Es war noch zu früh, um der alten Dame einen Besuch abzustatten. Müde und hungrig setzten wir uns in die Trattoria, die zum Hotel gehörte. Im Innenhof war es schattig und angenehm kühl, die Mandarinenbäume trugen goldgelbe Früchte, der Jasmin sparte seinen Duft für den Abend auf. Wir aßen Risotto, dazu gartenfrischen Salat, mit einem wundervollen Olivenöl zubereitet. Wir tranken einen kühlen, leichten Rosé, der uns erfrischte, aber nicht beduselte. Wir neigten uns zueinander, unterhielten uns lustig und halblaut. Wenn die Paare an den anderen Tischen zu uns herüberschauten, mussten sie denken, dass wir ein glückliches Liebespaar waren oder jung Verheiratete in den Ferien. In Wirklichkeit machten wir uns etwas vor,

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