Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
könnte die Seide weben? Wenn die Frau, die du getroffen hast, doch blind ist ...«
    »Ihre Tochter lebt auf Gozo und kennt das Verfahren. Ihre Mutter hat ihr Spindel und Webstuhl vermacht.«
    »Klingt hinreißend archaisch«, sagte Annabel. »Wir müssten das in der Werbung ausnutzen, auf jeden Fall. Die Sache hat allerdings einen Haken.«
    Mir war sofort klar, was sie meinte.
    »Ob die Frau bei Bedarf größere Mengen liefern kann?« »Kann sie es nicht, sind wir aufgeschmissen.«
    »Ich muss mit ihr reden.«
    »So schnell wie möglich, tu mir den Gefallen. Time is money, ja? Aber es hat noch einen anderen Grund ...«
    Annabel blickte vor sich hin. Zwischen ihren Brauen hatte sich eine feine Falte gebildet.
    »Ich stamme aus Kiel, Beata. Mein Vater war Bootsbauer, habe ich dir das nie gesagt?« Ich schüttelte den Kopf, und sie sprach weiter, mit dem gleichen nachdenklichen Ausdruck im Gesicht.
    »Ich liebe das Meer, obwohl ich – im Gegensatz zu dir – Abstand halte. Und ich erzähle dir auch, warum: Ich war fünf Jahre alt, als meine kleine Schwester ertrank. Das habe ich bisher noch niemandem gesagt. Und ich bitte dich auch, es für dich zu behalten.«
    Ich nickte, sehr bewegt. Es war das erste Mal, dass Annabel etwas von sich selbst preisgab.
    »Was ich eigentlich damit sagen will«, Annabel sprach weiter, »ist: Wir sind dabei, jede Lebensform aus ihrem biologischen Gleichgewicht zu bringen. Die Verschmutzung der Ozeane gefährdet den Planeten. Was wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Eine Marslandschaft?«
    Ihre grünen Augen starrten an mir vorbei, legten die Natur in ihr bloß. Doch schon sickerte durch ihr Zartgefühl die berufsbedingte Kälte wieder hindurch. Sie hob die Schultern und ließ sie sinken.
    »Ich bin keine Utopistin, Beata, ich bin eine Geschäftsfrau. Aber wenn ich eine Möglichkeit sehe, Business mit Umweltschutz zu verbinden, bin ich dabei.«
    »Vielleicht wirst du am Ende doch Utopistin?«
    Sie zeigte ein schmales Lächeln.
    »Wenn ich dafür gut bezahlt werde.«
    Sie trank ihren Orangensaft aus, warf einen Blick auf ihre kleine Uhr aus Platin.
    »Ich muss zum Zug. Die Muschel nehme ich mit, um sie den Leuten im Labor vorzuführen. Von dir brauche ich jetzt eine Aufstellung der vorhandenen Steckmuschelbestände. Und ich will wissen, wie sich die Weberin zu der Sache stellt. Azur gibt viel Geld für Recherchen aus, aber gelegentlich lohnt es sich.«
    Sie verstaute die Muschel wieder in der Watte und steckte sie mitsamt der Schachtel in ihre elegante Markentasche.
    »Und der Schal? Den muss ich auch haben.«
    »Auf keinem Fall!«
    Sie holte hörbar Luft.
    »Glaubst du, die Leute im Verwaltungsrat ließen sich ohne Warenmuster überzeugen?«
    »Warte ...«, murmelte ich.
    Ich hatte einen winzigen Faden entdeckt, der sich, ganz am Rande, aus dem hauchdünnen Gewebe löste.
    »Hast du eine Nagelschere?«
    » Beata! «, rief sie. »Willst du, dass ich verhaftet werde?«
    Ich bat sie um einen Augenblick Geduld. Neben dem Café befand sich eine Drogerie. Ich erstand eine Nagelschere für Kinder und entnahm damit behutsam dem zarten Gewebe einen Fingerbreit Seide. Annabel wickelte die Seide in ein blütenweißes Taschentuch und steckte es in den kleinen Beutel aus Brokat, in dem sie den Topasring von ihrer Großmutter und zwei Ohrklips verwahrte.
    »So«, sagte sie zufrieden, »jetzt habe ich mein Warenmuster. Unser Chemiker wird die Fäden mal unter das Mikroskop legen.«
    Wir erhoben uns. Ich begleitete sie zu dem unterirdischen Bahnhof, wo einige Minuten später der Zug nach Basel einfuhr.
    Wir umarmten uns.
    »Viel Glück«, sagte Annabel. »Melde dich, wenn du Neuigkeiten hast. Und iss nicht so viel Kuchen. Such dir lieber einen Lover. Sex baut Fett ab.«
    Mühelos beförderte sie ihr Trolleyköfferchen in den Zug. Sämtliche männlichen Mitreisenden bewegten sich unruhig, während sie mir verhalten zuwinkte. Der Zug setzte sich in Bewegung; ich sah noch, wie ein Geschäftsmann ihr beflissen den Koffer ins Gepäckfach hob. Annabel zeigte dankend ihre perlweißen Zähne und rührte keinen Finger.
    Ich fuhr zum Hauptbahnhof und nahm dort ein Taxi. Meine ungelüftete Wohnung roch nach Hitze und Staub. Die weißen Wände wirkten abweisend. Ich zog die Lamellen-Stores hoch, öffnete alle Fenster und lehnte mich über den gläsernen Balkon. Einsamkeit. Ich hantierte mit dem Staubsauger, bezog das Bett frisch, wühlte alle Schränke durch. Gegen Abend bummelte ich durch die Stadt, kaufte einen

Weitere Kostenlose Bücher