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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Aphorismen.
    »Beata, auf dieser Welt gibt es Widersprüche. Im Ablauf der Menschheitsgeschichte werden die Tafeln immer wieder gelöscht und neu geschrieben. Die Scheuklappen der Propaganda tun dabei das Ihre. Eine absichtliche Ungenauigkeit ändert nicht die Fakten selbst, mag aber bisweilen praktischer sein. Das ist im Einzelnen wie im Ganzen die Geschichte unserer Ruchlosigkeit.«
    Solche Phrasen waren bei ihm nichts Neues. Ich nickte zerstreut, dachte an die Zusammenhänge, die wie planlose Elemente in meiner Phantasie hingen. Ich war erschüttert und angeekelt, und der Appetit war mir endgültig vergangen.
    Ricardo schlug vor, dass wir uns auf die Terrasse setzten. Weil das Licht der Lampe sanft flutete, entstand da und dort am schwarzen Himmel ein Gefunkel. Die Überreste verschwundener Welten? Oder Planeten, im Werden begriffen? Es schien so sinnlos, das Paradies im Himmel zu suchen, wenn es nicht auf Erden zu verwirklichen war. Als Domenica den Kaffee brachte und ich stumm meinem Vater Zucker und Milch reichte, sagte er, unglücklich wirkend:
    »Du wolltest doch die Wahrheit wissen. Ich habe dir die Wahrheit gesagt. Ich hoffe, dass du verstanden hast, worum es ging.«
    Was sollte ich ihm antworten? Ich schüttelte den Kopf.
    »Lassen wir das. Weißt du noch mehr über die Sache?«
    »Ich habe ein paar Bücher, die den Untergang der Transylvania vom militärischen Standpunkt aus schildern. Nur Fakten, nichts Persönliches. Wenn du dich damit begnügen willst ... «
    »Nein«, sagte ich unnachgiebig, mit den Gedanken bei Kazuo.
    Ich dachte, der Stress sei vorbei und ich könnte mich erholen. Weit gefehlt: Ricardo hatte noch eine Überraschung für mich auf Lager:
    »Warum fragst du nicht Francesca? Sie war doch oft in Japan und ist der Sache nachgegangen.«
    Ich konnte nicht glauben, was ich hörte.
    »Aber davon hat sie nie etwas gesagt!«
    Ricardo lehnte sich in seinem Korbstuhl zurück.
    »Ach, du darfst ihr nicht böse sein, sie hütet ihre kleinen Geheimnisse. Wenn du sie fragst, wird sie wahrscheinlich sagen, der Künstler muss frei sein, irgendetwas in dieser Art. Sie war ja schon immer eine Intrigantin.«
    Er lächelte unaufrichtig und erstickte ein Gähnen. Na gut, sie war ja auch nicht immer sehr freundlich zu ihm. Aber der Seitenhieb ging daneben. Francesca war auf keinen Fall eine Intrigantin. Sie war noch mit neunzig wie ein Kind, unverschämt, anmaßend, verschlossen, schwer zu durchschauen und voller Überraschungen. Und manchmal auch großartig, dachte ich, aber das verstehst du ja nicht, Ricardo.
    »Sie hat nichts essen wollen«, sagte Domenica, als ich zu ihr in die Küche kam. Domenica hatte Reis in Fleischbrühe mit einem geschlagenen Ei für sie gekocht. Ich sagte, ich würde ihr den Reis bringen und dazu auch eine Tasse Kaffee.
    Leise klopfte ich an die Tür und trat ein, das Tablett ungeschickt mit einer Hand balancierend. Francesca lag im dunklen Zimmer. Ich trat mit der Fußspitze auf den Schalter einer Stehlampe. Sie warf ein schwaches, rosa Licht. Francesca blinzelte.
    »Mach sofort das Licht aus! «
    »Nein. Du musst etwas zu dir nehmen.«
    Im Bett schien sie sehr klein, noch kleiner als sonst, ohne das Gebieterische, das ihr für gewöhnlich anhaftete. Ihr Atem ging laut und regelmäßig. Das schwarze Haar war gelöst; ich hatte sie nie unfrisiert gesehen und wunderte mich, wie dünn es war. Wahrscheinlich half sie mit einem Haarteil nach.
    »Lass mich allein«, brummte sie.
    »Warte, ich helfe dir«, sagte ich.
    Sie machte ein verneinendes Zeichen, das ich nicht beachtete. Ich stellte das Tablett auf den Nachttisch. Mein Blick streifte Cecilias Bild. Die dunklen Augen, die klare Linie ihres Gesichts deckten sich so deutlich und bewegend mit dem Antlitz der Frau in meiner Erinnerung, diesem verschwommenen, entscheidenden Bild, dass mir der Atem stockte. Ich wandte mich aufgewühlt ab, brachte Francescas Decken in Ordnung. Mürrisch richtete sie sich auf, damit ich ihr das Kissen ausschütteln konnte. Dann stellte ich das Tablett auf ihre Knie. Sie löffelte widerwillig den Reis. Ihre Lippen waren dünn, spröde und fremdartig blass. Das Essen weckte offenbar ihre Lebensgeister. Ihre Wangen hatten wieder etwas Farbe bekommen. Ich nickte ihr zu.
    »Trink den Kaffee, solange er warm ist.«
    Sie tat ohne Widerspruch, was ich sagte. Und während sie den Kaffee schlürfte, fragte ich scheinbar beiläufig:
    »Wann warst du eigentlich in Japan?«
    Ich hatte den Augenblick bewusst gewählt,

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