Muschelseide
Wort gesagt hatte. Als ob ihr Cecilia vertraut wäre, als ob sie Kraft aus ihrer unsichtbaren Gegenwart schöpfte. Offenbar gab es für Gespenster keine Stilrichtungen, keine Regeln und keine Rollenmuster. Ich entspannte mich wohlig in Kazuos Armen und sagte halb im Scherz, halb im Ernst:
»Ein netter Zufall kann es nicht sein. Möglicherweise schaut sie gern zu, wie wir es im Bett treiben.«
Er prustete wie ein Schuljunge.
»Darauf kannst du wetten!«
18. Kapitel
M einem Vater sagte ich nichts von Kazuo. Auch wenn ich in gutem Einvernehmen mit ihm lebte, hatte ich ihm nie von meinen Liebschaften erzählt. Mochte er sich utopisch einbilden, dass ich wie eine Nonne lebte, oder sich – wie ich vermutete – seinen Teil denken. Fragen stellte er nie. In seinen jungen Jahren hatte er Evelyn Waugh gelesen, »Auf der schiefen Ebene« und »Lust und Laster«. Mit dergleichen gab sich Ricardo nicht mehr ab. Er machte es subtiler, plagte mich bevormundend mit ungewissen Angstneurosen, unglücklich darüber, dass ich ja doch nur tat, was ich wollte.
»Du machst keinen begleiteten Tauchgang? Um Gozo ist das Meer stürmischer als bei uns.«
Ich dachte: Und wie steht es mit dem Pazifischen Ozean? Es langweilte mich. Alles bei ihm war so zweitrangig und melodramatisch. Ich sagte ihm aber nicht, er sollte aufhören. Er brauchte das Gefühl, dass er Teilnahme in mir erweckte.
»Nein, ich tauche allein.«
»Wann fährst du?«
»Morgen früh. Die Fähre geht um zwanzig nach neun.« »Und wenn dir etwas zustößt?«
»Dann hatte ich eben Pech.«
»Und was wird aus mir? «
Dann wurde lange Zeit kein Wort gesagt. Wir saßen allein bei Tisch. Francesca lag mit Kopfschmerzen im Bett. Es war schon dunkel, auf der Veranda brannte die Lampe. Nachtfalter, weich und weiß wie Schneeflocken, stießen an das heiße Glas, fielen mit einem weichen Plumps zuckend zu Boden. Ich schlürfte zerstreut meine Suppe, in Gedanken bei Kazuo, jede Pore erschauernd vor glücklicher Erinnerung. Doch da gab es Dinge, die ich klären musste. Ich wollte darüber Bescheid wissen, es war wichtig geworden. Daher wartete ich, bis Domenica den Seebarsch aufgetragen hatte, bevor ich Ricardo sagte, dass ich einem Bekannten den Friedhof der Marine gezeigt hatte.
»Ich war lange nicht mehr dort. Gaetanos Grab sah ziemlich vernachlässigt aus.«
In diesen Dingen war Ricardo hellhörig.
»Du hast schon recht. Ich werde mich darum kümmern.« Ich fragte, betont beiläufig nach einem Schluck Wasser: »Übrigens, warum steht da eine Gedenksäule mit japanischen
Schriftzeichen?«
Ricardo betrachtete mich mit diesem dumpfen Blick, den ich immer an ihm bemerkte, wenn er seine Unsicherheit überspielte.
»Ach so. Kennst du die Geschichte denn nicht?«
Manche Ereignisse zwingen die Einbildungskraft, sich ein Bild von ihnen zu machen, noch bevor man sie kennt. Ich spekulierte ungern.
»Mein Bekannter schreibt für eine Zeitung. Er wollte mehr wissen. Ich habe mich blamiert, weil ich ihm nichts sagen konnte.«
» Es ist eine Geschichte, die ... «
Ricardo sprach zögernd; ich sah, wie er sich anstrengte. Es gab andere Erinnerungen, glückliche, die aus früherer Zeit zu ihm drangen wie ein Geschenk. Nicht aber dieses Gelöschte.
»Betraf sie nicht auch Gaetano? «, hakte ich nach.
Er machte ein unglückliches Gesicht.
»Ja, ja, das war es ja eben. Sie betraf Gaetano. «
Die Vergangenheit war verwandt mit den Wesen des Meeres, den Seesternen, Muscheln, Seepferdchen, Quallen und Fischen in ihren unzähligen Formen. Die Zeit sollte vorübergehen wie an der Oberfläche ein Sturm, den solche Geschöpfe der Tiefe nicht merken. Ich rührte die Wasser auf.
»Du weißt«, sagte er, »dass wir über das Thema normalerweise nicht sprechen.«
»Du brauchst es mir nur ein für alle Mal zu sagen, und ich werde dir keine Frage mehr stellen.«
»Das ist eine Sucht, dass du alles erklärt haben willst.« »Ich bin gern informiert.«
Er seufzte.
»Vergiss nicht, dass man alles von verschiedenen Seiten betrachten muss. Wenn ich dir die Sache verständlich machen will, muss ich auf bestimmte Zustände hinweisen. Auf die Disziplin. Ohne Disziplin wird der Krieg eine tragische Maskerade. Und ich weiß, dass deine Generation von Disziplin eine andere Meinung hat.«
Er sprach langsam, wog die Worte ab. Verlegenheit, dachte ich, wäre jetzt der passende Ausdruck für seine Gemütslage. In Ricardo richtete sich eine Hemmung auf, schob sich zwischen uns wie ein Schatten.
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