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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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weil ich meinte, dass ihr in diesem Zustand keine Ausrede einfallen würde. Und natürlich hatte ich sie unterschätzt.
    »Warum interessiert dich das?«
    Ich begegnete achselzuckend ihrem kalten Blick.
    »Weil Ricardo davon sprach.«
    »Ach, wie kam er dazu?«
    »Weil ich heute Morgen vor Gaetanos Grab stand.« Ihre schwarzen Augen funkelten mich an.
    »Was hattest du da zu suchen?«
    »Ein Bekannter wollte sich den Friedhof ansehen. Er interessierte sich auch für die japanische Gedenksäule.«
    Sie zuckte leicht zusammen.
    »Sie steht also noch?«
    Ich nickte. Sie sank auf ihr Kissen zurück, atmete pfeifend durch die Lippen.
    »Es war ein bisschen mühsamer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich bat John, die Schriftzeichen zu fotografieren. Weil ich ja Japanisch nicht lesen konnte.«
    »John?«, murmelte ich.
    Ihre welken Lippen zuckten.
    »Oh, er war sehr verliebt in mich. Er hat alle 78 Namen fotografiert und die Filme für mich entwickelt.«
    »Warum hat er das getan?«
    »Um mir eine Freude zu machen, warum denn sonst? Ich hätte mich ja selbst darum gekümmert, aber zu jener Zeit war eine Rolleiflex etwas sehr Aufwändiges und Kompliziertes. Erfinderisch, wie ich war, hatte ich ihm erzählt, dass ich die Schriftzeichen nachzeichnen wollte. Japanische Kunst war sehr en vogue . Paul Poiret entwarf wundervolle Modelle nach japanischer Machart, hast du das gewusst? Nein? Was weißt du denn? In Paris traf ich auch Foujita, den Maler, der damals mit Kiki de Montparnasse lebte. Es war ein unglaublich lustiges Paar. Zwanzig Jahre war ich alt, ich hatte viel Spaß. Foujita war übrigens der Erste, der sagte, dass mir als Malerin eine große Karriere bevorstünde. Aber das war später. Was John betrifft, der kam im Zweiten Weltkrieg ums Leben, als sein Regiment in Malaysia gegen die Japaner kämpfte. Das Schicksal erlaubt sich gelegentlich geschmacklose Späße.«
    Ich brachte sie wieder auf den Kern der Frage zurück. »Und wann bist du nach Japan gegangen?«
    Ihre Augen wurden düster und abweisend.
    »Ich musste warten, bis ich mein Geld hatte. Vorher konnte ich mich ja nicht rühren.«
    »Welches Geld meinst du? «
    Sie blinzelte verschlagen.
    »Armes Kind, es ist wirklich nicht deine Schuld, dass du nichts weißt. Hat dir Ricardo nie gesagt, dass Gaetano seine Schwester als Alleinerbin bestimmt hatte? Da siehst du nun, das ist typisch für ihn! Gaetano hatte Cecilia sein ganzes Vermögen hinterlassen, in Wertpapieren angelegt. Und zwei Häuser mit Grundstücken noch dazu. Falls Cecilia etwas zustoßen sollte, sollte ihr Kind – egal ob Sohn oder Tochter – mit achtzehn Jahren das Vermögen erben. Ich musste durchhalten, bis es so weit war. Gaetano hatte beide Beine verloren, nicht aber den Verstand. Er war auch noch fähig, seine Unterschrift unter alle Papiere zu setzen.«
    Sie fuhr mit der Hand über ihre Stirn.
    »Bevor ich nach Japan ging, sprach ich lange mit Foujita. Er meinte, dass ich es am Anfang nicht leicht haben würde. Ich fragte ihn: ›Werden die Japaner mich mögen?‹ Er sagte: ›Nach einer gewissen Zeit bestimmt.‹ Es sei, behauptete er, eine Frage der Ausstrahlung, der Offenheit. Und so war es dann auch. Ich fühlte, wie mein ganzes Leben einen unbekannten Sinn, eine unbekannte Tiefe annahm. Ich versuchte die Leute, die wichtig für mich waren, zu finden. Aber durch Foujitas Schuld hatte ich mich zu lange in Paris aufgehalten und den richtigen Zeitpunkt verpasst. Die politischen Ereignisse spitzten sich zu. Und dann kam der Krieg, und ich erlebte schreckliche Dinge. Zuerst Pearl Harbour, am Schluss Hiroshima und Nagasaki. Mein Gott! Mir standen die Haare zu Berge. Und als ich 1947 zum ersten Mal nach dem Desaster wieder nach Japan ging, lagen alle Städte in Trümmern. Ich verlor jede Spur.«
    »Wen suchtest du denn?«, fragte ich. »Die Seeleute, die Gaetano gerettet haben?«
    Sie tastete fahrig nach ihrem Glas Wasser. Ein Röllchen Tabletten lag daneben. Francesca ließ eine Tablette in die hohle Hand gleiten, schluckte sie mit Wasser und fiel aufstöhnend in ihr Kissen zurück.
    »Muss ich noch lange weiterreden?«
    »Solange du willst.«
    »Ich will nicht mehr. Reden macht mir Kopfschmerzen.«
    Sie drehte sich zur Seite, schloss die Augen. Unbeweglich lag sie da, in sich selbst verkapselt. Ein einziger abwehrender Block. Ich bewahrte meine Geduld, stellte das Geschirr auf das Tablett und stand auf.
    »Francesca, morgen fahre ich für ein paar Tage nach Gozo und besuche Decimas

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