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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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entflohen.«
    Wieder Pause. Ich stellte mir vor, wie sich der Eisenring der deutschen U-Boote um die sinkende Transylvania schloss, und sah dabei vor meinem geistigen Auge einen kitschigen Hollywoodstreifen. Doch irgendwas war ganz verkehrt. In solchen Filmen agierten die Darsteller anders. Die Helden, muskulös und siegesgewiss und mit blitzenden Zahnimplantaten, ruderten dem kenternden Schiff entgegen, gerade rechtzeitig, um die Krankenschwestern in nasser Unterwäsche aus den Wellen zu fischen. Das Gefühl, dass alles so abgelaufen war, wie ein Regisseur es heutzutage inszeniert hätte, stimmte eben nicht. In Tat und Wahrheit waren die Krankenschwestern nicht gerettet worden. Die Helden hatten den Schwanz eingezogen und das Weite gesucht. Flucht auf Befehl. Vielleicht sollte ich mich wundern, mit welchem Freimut mein Vater sich dazu bekannte.
    »Und wer rettete die Überlebenden?«, fragte ich.
    Ricardo füllte sich bis zum Rand ein Glas mit eiskaltem Wasser und trank es in einem Zug.
    »Sie wurden von Herzen bedauert. Unsere Gebete begleiteten sie. Aber wir konnten nichts für sie tun. Es wäre militärisch untragbar gewesen. Es war wirklich entsetzlich, dass wir das Kostbarste, was wir besaßen, die eigene Ehre, auf so schändliche Weise beflecken mussten ...«
    »Warum sagst du ständig ›wir‹? Du warst doch nicht dabei.«
    Ricardo wandte die Augen ab.
    »Mein Großonkel Gordon Sforza, Kapitän auf dem Kreuzer Horseflykiel , gab als Oberkommandierender allen Schiffen über Funk den Befehl, sich unverzüglich zu entfernen.«
    Ich starrte ihn an.
    »Wusste er, dass Gaetano auf der Transylvania war?« »Er wusste es.«
    Womöglich hatte ich als Taucherin zu sehr daran geglaubt, dass alles, was die Tiefe verschlang, für immer weg und vergessen war. Naturgemäß kamen die Dinge wieder an die Oberfläche.
    »Und was geschah dann?«
    »Was dann geschah«, sagte Ricardo langsam, »galt ein paar Jahrzehnte lang als eine der bedeutendsten Leistungen in der Geschichte der Seekriege – bevor man sie aus politischen Erwägungen totschwieg. Während wir flüchteten, manövrierte ein japanischer Kreuzer schnell und geschickt auf die todgeweihte Transylvania zu. Offiziere und Mannschaft standen auf ihren Stationen, hielten sich die deutschen U-Boote, die sie wie Hornissen umkreisten, wie durch ein Wunder vom Leib. Der Kapitän ließ stoppen, die Seeventile öffnen und die Boote zu Wasser. Unter dem pausenlosen Feuer der U-Boote bargen die Japaner über dreitausend Soldaten, Schwerverletzte und Krankenschwestern. Keine nationale Ehre zwang sie, dies zu tun. Es war ganz einfach hirnverbrannter, bewundernswerter Wahnsinn.«
    Mein Vater schwieg, während Domenica die Teller abräumte. Sie sah mich fragend an, weil ich kaum etwas gegessen hatte. Ich schüttelte nur wortlos den Kopf. Als sie draußen war, fragte ich:
    »Und was war mit Gaetano? «
    »Er wurde auf das japanische Schiff gebracht, wo ihn ein Arzt in aufopferungsvollem Einsatz behandelte. Inzwischen steuerte der Kreuzer den italienischen Hafen Savona an. Dort verbrachte Gaetano einige Tage im Lazarett, bevor man ihn, am ganzen Körper bandagiert, wieder nach Valletta brachte.«
    »Wie hieß das japanische Schiff? Weißt du das noch?«
    »Es war die Sakaki , wenn ich mich recht entsinne. Japanische Namen sind eben schwer zu behalten. Übrigens wurde die Sakaki auf der Rückfahrt nach Malta von einem U-Boot unter Beschuss genommen und schwer beschädigt. Auf japanischer Seite wurden offiziell 78 Tote gemeldet. Die englische Regierung sprach den japanischen Gesandten in London ihre Hochachtung und gleichzeitig ihr Beileid aus und ordnete die Errichtung einer Gedenksäule auf dem Friedhof der Marine an. In dieser Zeit und bis in die späten Dreißigerjahre erfreute sich Japan bei uns einer großen Sympathie. Aber dann brach der Zweite Weltkrieg aus, neue Bündnisse wurden geschlossen. Nun kämpften die Japaner gegen die Alliierten im pazifischen Raum. Wir erlebten eine Kette von Grausamkeiten, die die früheren guten Erfahrungen in den Schatten stellten. Das Blatt wendete sich eben. Die Rettung von dreitausend Briten passte einfach nicht zu dem Feindbild, das es fortan zu verbreiten galt. Man wollte die Geschichte mit der Transylvania nicht mehr hören und sprach sogar davon, die Gedenksäule zu entfernen.«
    »Hättest du das befürwortet?«
    Da Ricardo das Schlimmste hinter sich hatte, gönnte er sich nun, als Belohnung sozusagen, ein paar sarkastisch gefärbte

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