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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Rückstoßende Hinderniswolken decken auch die Flucht der Tintenfische. Ich wurde allmählich ungehalten.
    »Himmel, Ricardo! « Ich sagte nicht: »Scheiße«, obwohl ich genau das meinte. »Wir reden über den Ersten Weltkrieg und nicht über vorgestern. Die Leute sind doch alle schon tot!«
    Er legte mit sachter Bewegung seine Gabel auf den Teller.
    »Das alles ist nicht so leicht und mit schnellen Worten erklärt. Wir hatten das Unsere getan und trauerten stumm. Wir glaubten, es gehöre zur Achtung, die wir den Entschwundenen schuldig waren. Fall jetzt bitte nicht beim geringsten Widerspruch über mich her!«
    »Ich werde mir Mühe geben.«
    Ricardo hatte einen bitteren Zug um den Mund.
    »Es kann in Kriegszeiten vorkommen, dass bestimmte Handlungen den ethischen Gesetzen widersprechen. Was geschehen ist, hatte einen Sinn. Und ich will, dass du erkennst, worum es ging.«
    Wenn ich es erkennen sollte, wozu brauchte er dann dieses Versteckspiel? Ich unterbrach ihn nicht mehr. Es widerstrebte mir, ihn zu verletzen.
    »Also, hör bitte gut zu. Im Ersten Weltkrieg bestand ein Zusatzabkommen zwischen Großbritannien und Japan, laut dem ein japanisches Geschwader mit dem Schutz unserer Truppentransporte betraut war. Die Eskorte in Gefechtsformation trug den Kodenamen ›Spezielle Aufgabenflotte‹. Die achtzehn japanischen Kreuzer und Fregatten hatten den Indischen Ozean überquert und durch den Kanal von Suez das Mittelmeer erreicht. Ihre Aufgabe bestand darin, unsere Schiffe von Alexandria nach Marseille zu decken. Mit Hilfe der Japaner konnte das britische, italienische und französische Geschwader seine Machtstellung im Mittelmeer halten und die türkisch-österreichische Flotte einkreisen. Es war übrigens der zweite Krieg, den wir gemeinsam mit den Japanern fochten. Der erste war der Russlandkrieg gewesen, den Japan 1905 gewonnen hatte. Damals schon waren britische Beobachter am Bord der japanischen Schiffe gewesen. Die Japaner galten als vortreffliche Seeleute und hatten schon eine ähnliche Aufgabe im Indischen Ozean und in Guyana für uns übernommen. Weil der Krieg, der ja 1914 begonnen hatte, schon über drei Jahre dauerte, hatten die Japaner bereits vierundsiebzig alliierte Truppentransporte, im Ganzen über dreihundert Schiffe, begleitet. Aber den deutschen U-Booten gelang es immer wieder, die Blockade zu durchbrechen und die Transportschiffe unter Beschuss zu nehmen. So kam es dann auch, dass am 4. Mai 1917 zwei deutsche Torpedos die Transylvania , auf der Gaetano Dienst leistete, bis zum unteren Batteriedeck aufrissen. Das Schiff brach unter den Volltreffern auseinander und kenterte.«
    Ricardo hüstelte und trank einen Schluck Wein. So lange dauerte sein Schweigen, dass ich nahe daran war, die Geduld zu verlieren. Doch er fasste sich wieder und sprach weiter.
    »Um es kurz zu machen: Unsere Schiffe hatten den Befehl, sich von den Torpedoangriffen in voller Fahrt zu entfernen. Auf die Schiffe, die das Tempo infolge ihrer Havarien nicht durchzuhalten vermochten, wurde keine Rücksicht genommen. Überdies hatte die Transylvania ein Lazarett mit Krankenschwestern und über hundert Schwerverwundeten an Bord. Sie zu retten war ein Wagnis, das wir nicht eingehen konnten.«
    Pause. Ich brauchte einige Sekunden, um zu begreifen. Und was ich da hörte, gefiel mir gar nicht.
    »Willst du damit sagen, dass die Transylvania ihrem Schicksal überlassen wurde?«
    Mein Vater nickte steif. Sein Gesicht war hölzern geworden. Ich hatte das stupide Gefühl, dass er innerlich strammstand.
    »Eine Seeschlacht gleicht einem Schachspiel, das kann ich dir sagen. Der Sieg fällt dem zu, der im richtigen Augenblick die richtige Entscheidung trifft. Ein ›Untergang in Ehren‹ hatte nur Sinn, wenn es möglich war, dem Feind damit entscheidende Verluste beizubringen, ihn ebenfalls in den Untergang zu reißen. Es war absolut notwendig, dass wir unsere Schiffe in Sicherheit brachten. Das siehst du doch wohl ein?«
    Ich unterdrückte die abwehrende Erwiderung, die bei dieser gefühlsduseligen Rede in mir hochstieg, und sagte nur:
    »Ich nehme es zur Kenntnis.«
    Ricardo sprach angespannt weiter, unverkennbar von der erschreckenden Frage geplagt: Ob sie es wohl begreifen wird?
    »Versteh mich, die Transylvania war bereits verloren und von feindlichen U-Booten eingekreist. Befehl wurde gegeben, die Blockade zu durchbrechen. Ein Rückzug mit Volldampf, mitten durch die Feinde. Das Manöver gelang. Die Japaner deckten uns, während wir

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