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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Was mir an Kazuo so gefiel, war nicht nur er selbst, seine physische Person, sondern seine Art, zuzuhören, den Menschen als Ganzes wahrzunehmen. Er drängte sich nicht auf, er hatte eine überaus ruhige Art, dazuzugehören. Lorenzo und Nona schienen es ebenfalls zu spüren und fügten ihn endgültig in die komplexe, schimmernde Welt ein, die sie umgab, jedoch auf eine Weise, dass Kazuo selbst es vielleicht gar nicht merkte. Inzwischen zogen mich die Jungen in eine Unterhaltung, die meine Taucherlebnisse betraf. Sie stellten jede Menge Fragen, benahmen sich aber dabei weder altklug noch albern, sondern ausgeglichen und vernünftig. Weil ich aber spürte, dass Nona ihre Ungeduld nur mühsam beherrschte, brachte ich recht bald das Gespräch auf die Steckmuschel. Ich fragte Giljan, wo er Seegraswiesen gesehen hatte. Giljan kannte verschiedene. Er war ein guter Schwimmer, mit Schnorchel allerdings, während Carlo nur ins Wasser ging, wenn es im Sommer wirklich heiß war.
    »Er plantscht wie ein junger Hund«, sagte Giljan geringschätzig, worauf Carlo zum Spaß mit einem Boxhieb nach ihm zielte, den der Größere mit blitzschneller Bewegung abwehrte. Alle lachten, und Lorenzo sagte zu Kazuo:
    »Wir haben einen Aikidoklub, müssen Sie wissen. Nicht, dass Sie glauben, dass wir in der Wildnis leben.«
    Kazuo versicherte ihm aufs Liebenswürdigste, dass er das keinen Augenblick geglaubt hatte. Inzwischen fragte ich Giljan, wo er die Seegraswiesen gesehen hatte.
    »In der ›Bajja id-Dwejra‹« – der Dwejra-Bucht. Giljans freundliche Stimme hatte bereits einen männlichen Klang.
    »Ich kenne nicht alle. Aber auf der Meerseite des ›Teblata-General‹ sah ich welche, die gut erhalten sind.«
    »Vielleicht«, sagte Lorenzo zu Kazuo, »können Sie mit seinem englischen Namen ›Fungus Rock‹ mehr anfangen. Auf dem Felsen wächst eine Art Flechtengewächs, das die Ärzte des Johanniterordens zur Behandlung von Dysenterie und als blutstillendes Mittel verwendeten. Das Kraut war aber auch als Aphrodisiakum beliebt.«
    »Was ist denn das?«, fragte Carlo. Wir fingen an zu lachen, und Carlo wurde ein wenig rot.
    »Woher soll ich das wissen? Warum lacht ihr?«
    »Er muss einfach alles erfahren«, seufzte Giljan.
    »Ich erkläre es ihm nicht«, sagte Nona in entschiedenem Ton. »Er soll im Internet nachsehen.«
    Carlo versprach es, und Lorenzo erzählte weiter:
    »Das Gewächs trägt den lateinischen Namen Cynomorium und wurde für teures Geld verkauft. Der Felsen hatte sogar einen Wachturm. Es war den Rittern vorbehalten, das Gras zu ernten, das in einem Transportkorb an einem Seil zur Küste gebracht wurde. Leider fand der Mythos ein prosaisches Ende. Als englische Wissenschaftler das Gras auf mögliche Wirkstoffe untersuchten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass das Mittel nur half, wenn ein paar Mal ›Ave Maria‹ gebetet wurde.«
    Wir lachten laut. Ich fragte Giljan, ob viele Touristen den Tauchplatz aufsuchten.
    Giljan schüttelte den Kopf.
    »Die kommen nicht über die Salzpfannen, weil im Sommer die Hitze unerträglich ist. Außerdem führt zur nächsten Ortschaft Xlendi keine Straße. Man muss zurück nach Rabat, und der Umweg ist den Leuten einfach zu kompliziert.«
    »Das ist noch der alte, wilde Teil unserer Insel«, sagte Lorenzo. »Die Klippen sind steil, und es gibt keine Quellen, dass man Gärten anlegen könnte. Wo etwas Wasser vorhanden ist, wachsen nur Binsen. Wir nennen diesen Inselteil ›die Wüste‹. Das Meer ist glasklar, obwohl an der Küste gelegentlich Yachten anlegen. Das Tauchgebiet ist ja nur auf dem Seeweg erreichbar. «
    Ich meinte, dies seien eigentlich die besten Voraussetzungen. »Morgen werde ich ein paar Tauchgänge machen.«
    »Morgen ist mein freier Tag«, sagte Lorenzo. »Wenn Sie wollen, kann ich Sie hinfahren. Mein Vetter Tommaso hat ein kleines Segelboot, das im Sommer in Dwejra vor Anker liegt.«
    Den Vorschlag nahm ich freudig an. Die kleinen Pfannkuchen mit kandierten Früchten, die Nona zum Schluss auf den Tisch brachte, schmeckten süß und würzig zu dem Wein, von dem wir schon allerhand getrunken hatten. Kazuo und ich waren bald ein bisschen angeheitert. Mir war, als ob ich diese Menschen schon immer gekannt hätte. Ich las eine eigentümliche Sympathie in Nonas Augen, die einzige Empfindung vielleicht, die sie gänzlich mit mir teilen konnte, in ihrer Welt, zu der noch so viele Geheimnisse gehörten. Sie zog sich mit dem, was für sie Wahrheit war, in diese Welt zurück, reichte mir

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