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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ich kann. Aber wie jedes Unternehmen stürzt sich Azur nicht kopfüber in ein Abenteuer, ohne gründliche Forschung betrieben zu haben. Ob sich eine rationelle Steckmuschelzucht lohnt?« Ich besann mich einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Nun, ich will sehen, was daraus wird. Mir scheint, es sollte möglich sein ... «
    Unsere Augen begegneten sich; da wechselte ihr Ausdruck sprunghaft. Ihr Blick wurde merkwürdig scharf, sie ließ die Worte hervorsprudeln, unterstrich sie mit nervöser, bedeutungsvoller Gestik.
    »Es würde auch gar nicht nötig sein, die Muschel zu töten! Nein, nein! Man kann die Byssusfäden gewinnen, indem man die Muschel aus dem Boden zieht, den Byssus schneidet und die Molluske wieder einsetzt. Liefert der Boden ausreichend Nahrung, könnte der Byssus drei- oder viermal im Jahr geerntet werden.«
    Sie war in dieser Hinsicht wie ein Kind, meine Einwände machten auf sie gar keinen Eindruck. Ja, sie war eine ganz besondere Natur, und besondere Naturen brauchten eine starke Hoffnung.
    »Wäre es denkbar«, fragte ich, »dass Sie Schülerinnen anlernen?«
    »Aber ja! Und wie gern! Solange ich auf der Welt bin, weiß ich, wie man Muschelseide gewinnt. Einweichen, waschen, trocknen, reiben, kämmen, karden, spinnen und zwirnen, ich kenne das Verfahren im Traum. Und ist das Garn einmal vorbereitet, lässt es sich mit gewöhnlichen oder mechanischen Webstühlen verarbeiten.«
    Ihr Wesen war ungeheuer wandelbar, sie benahm und unterhielt sich ebenso sachlich wie auch ich, und schon im nächsten Augenblick kam sie mit einer solchen Plötzlichkeit in ein anderes Verhalten, verfiel in eine andere Denkart, dass ich kaum glauben konnte, noch dieselbe Frau vor mir zu haben. Dabei brach ihr Lächeln immer wieder hervor, hell und warm wie ein Sonnenstrahl, der durch die Wolken herabzuckt.
    »Möchten Sie meinen Webstuhl sehen?«
    Sie führte uns eine Treppe empor. Ihre kleinen Pantoffeln klapperten auf den Stufen. Im ersten Stock lagen die Schlafzimmer der Familie; eine Etage höher befand sich ein großer, lichter Raum. Schwalben flogen unter dem tiefblauen Himmel am Fenster vorbei. Eine Wespe summte. In der Mitte des Raumes standen ein Webstuhl und ein Korb voller Garne in verschiedenen Braun- und Weißschattierungen. An den Wänden lehnten Rollen aus Stoff, große und kleinere. Nona wandte sich uns zu mit nahezu feierlichem Ausdruck.
    »Am Anfang war das Tuch der Erde da, das weiße Leinen, das wir ›Orbace‹ nennen und das aus Ägypten stammt. Später kam aus China das ›Tuch des Himmels‹ hinzu, das aus der Zucht der Seidenraupen gewonnen wird, aus denen ja die Falter schlüpfen.«
    »Ja«, bemerkte Kazuo, der bisher geschwiegen hatte, »auf diese Weise hat auch das Weben im alten Japan begonnen: zuerst das Leinen, dann die Seide.«
    Sie erwiderte warm seinen Blick.
    »Ja, Textilien entstammen jener Zeit, als die Menschen erwachten und ihre Götter erfanden. Ich ... ich verarbeite Leinen und Seide und beides ungefärbt. Das Gewebe fühlt sich zunächst faserig an, wird aber mit jedem Waschen anschmiegsamer und weicher ...«
    Ich sah, als sie ihm zunickte, einen flüchtigen Augenblick das Aufblitzen der Zähne hinter den weichen Lippen. Dann wurde ihr Gesicht wieder verschlossen und starr.
    »Aber das ›Tuch des Meeres‹, das feinste und kostbarste, kann ich nicht weben. Das Handwerk verschwindet, weil die Steckmuschel stirbt. Vielleicht ist das der Grund, warum ich nur Söhne habe. Eine Tochter nicht. Der Arzt hat mir gesagt, dass ich keine Kinder mehr tragen kann. Und das, sehen Sie, hat eine Bedeutung ...«
    Sie wandte sich ab mit schneller, fast schroffer Bewegung, bückte sich wie eine Frau bei der Landarbeit, indem sie die Beine gestreckt hielt, und nahm ein goldbraunes Knäuel aus dem Korb.
    »Sehen Sie, das ist Byssus ... «
    Ich besah mir das Garn, und meine Kehle wurde eng. Es sah alt und vertrocknet aus, zu nichts mehr gut. Und trotzdem bemerkte ich auf der scheinbar toten Materie ein vertrautes bronzenes Leuchten. Dabei schien mir, dass ich dieses verzauberte Leuchten kannte, dass es dasselbe war, das aus Cecilias Haar unter der schwarzen »Faldetta« kam, ein Bild, das bereits zu mir gehörte, zu einem Teil meines Denkens geworden war. Mein Gott!, dachte ich aufgewühlt. Wie muss Gaetano sie geliebt haben!
    Und da begegnete mir Nonas Blick, und ein Frösteln überlief mich.
    »Engelshaar«, sagte sie leise.
    Sie nahm eine Spindel, wie die Frauen in alten Zeiten sie benutzten, und

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