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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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nass.
    »Verzeihen Sie ...« Nonas Stimme brach. »Ich ... ich halte Sie nur auf. Aber ich musste Ihnen das einfach sagen!«
    Ich schluckte und sagte:
    »Sie halten mich nicht auf, keineswegs. Und ich danke Ihnen, dass Sie Vertrauen zu mir haben.«
    »Es ist, weil ich immer den gleichen Traum habe, nur deswegen...«
    »Ja, ich verstehe.«
    Sie legte zwei Finger auf die Lippen, lachte ein wenig verschämt, während Kazuo und ich uns erhoben und ich den Schal aus Muschelseide wieder um meinen Hals schlang. Nona sah stumm zu, mit dem gleichen verlegenen Ausdruck im Gesicht. Doch an der Haustür breitete sie beide Arme aus, umarmte uns kurz und heftig. Mich aber küsste sie auf den Mund. Ich erbebte leicht unter diesem Kuss. Es war das Zittern einer Frau, die vor einer Fürstin stand und ihr Zeichen empfing wie ein Siegel. Diese Empfindung überraschte mich ebenso, wie sie mich verwirrte. Und als Nona ins Haus zurück trat und leise die Tür schloss, packte ich Kazuos Hand; fast war es, als ob ich mich an ihm festhielte. Ich dachte an das karge Zimmer mit dem Webstuhl und dem goldenen Fadenknäuel und an seine einzige Bewohnerin, die summende Wespe.

20. Kapitel
    J enseits der Täler und der schroff ansteigenden Hügel schien das Meer dem Himmel ganz nahe und fast jederzeit sichtbar.
    Die Insel, in gelbe Glut getaucht, war gleichsam Wüste und blühender Garten. Auf jeder Anhöhe drängten sich Dörfer um die Kirche wie Schafe um ihren Hirten, und alle Häuser hatten – wie die Schafe eben auch – die gleiche Größe und die gleiche Farbe. Dann wieder fielen Felsen steil in die See, goldgelbe Strände leuchteten, und weiße Leuchttürme reckten sich wie mahnende Finger in den Himmel. Hier und dort glitzerten ausgetrocknete Salzpfannen im Sonnenlicht; die Hitze staute sich dort und machte die Luft erstickend. Es war noch früh genug für einen Tauchgang. Ich wusste, dass Seegraswiesen sich vorwiegend unter Klippen befinden, weil die Erosion dort Hänge bildet, an denen sich Schlamm ansetzen kann. Vor der kleinen Bucht Gahar Quawqla fand ich einen geeigneten Platz für den Wagen. Ich trug meine Tasche mit der Taucherausrüstung und dem Handtuch über der nackten Schulter. Ich ging mit großen Schritten vor Kazuo her, und er folgte mir den Pfad hinunter zu der beiderseits von Felsen eingeschlossenen Bucht. Die Steine waren uneben und porös wie alte Knochen. Unten betraten wir die Ebene wieder, durchzogen von Rinnen und Gräben, in denen sich Sand anhäufte. Ich zog mein großes Badetuch aus der Tasche und breitete es aus. Wir setzten uns zusammen auf das Tuch und zogen uns aus. Kazuo sah mich skeptisch an, während ich mir die langen Flossen überstreifte. Ich musste lachen.
    »Ja, ich weiß, an Land sieht man damit aus wie ein Frosch! Aber im Wasser kommt man schneller vorwärts, auch wenn solche Flossen viel Kraft erfordern.«
    Kazuo hatte Schnorchel und eine sogenannte Panoramamaske bei sich, die ein großes Blickfeld ermöglichte. Aber Freitaucher legen mehr Wert auf kleine Masken. Ich sagte zu Kazuo:
    »Wenn ich plötzlich irgendwo verschwinde, glaube bloß nicht, dass ich am Ertrinken bin.«
    Er nickte, bevor er zögernd antwortete:
    »Ein bisschen Angst um dich darf ich doch wohl haben?« Ich blinzelte ihm zu.
    »Aber nur ein ganz klein bisschen!«
    Wir wateten in das kühle Wasser. Es funkelte, wenn wir uns bewegten, in tausend Lichtsplittern. Wir schwammen eine Weile nebeneinander, dann steigerte ich das Tempo und ließ ihn zurück. Ich kraulte ungefähr zehn Minuten westwärts, immer die Klippen entlang, bevor ich ausgiebig Luft holte und mich gleiten ließ. Das Ufer fiel schnell ab, und das Meer zeigte eine wunderbar grüne Farbe. Ich nahm etwas Wasser in den Mund. Ja, es schmeckte noch sauber. Ich stieg kurz empor, holte neue Luft und tauchte ein zweites Mal, wobei ich volle Kraft gab und einen großen Kreis zog, um einen möglichst umfassenden Eindruck von der Küstenbeschaffenheit zu gewinnen. Die Felsen waren mit den üblichen Algen, Seesternen und Muscheln verklebt. Fische, kleine und größere, zuckten in unruhigen Schwärmen. Unter einem Stein sah ich einen Tintenfisch, der seine Arme schwenkte und sich ängstlich verkroch, eine kleine dunkle Welle erzeugend. Er wurde scheinbar kleiner und größer wie eine Traumgestalt. An den aufsteigenden Schlammblasen merkte ich, dass der Boden sandig war. Ich kam wieder an die Oberfläche, legte mich für ein paar Minuten auf den Rücken und ruhte mich aus. Und

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