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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Hände, die ihn wie eine Opfergabe empfing. Eine Weile besah sie sich das Tuch, stumm und aufmerksam, wobei sie jede Einzelheit genau in Augenschein nahm.
    »Ja«, brach sie endlich das Schweigen. »Das ist Muschelseide. Sehen Sie, wie das Gewebe das Licht durchlässt? Was so glitzert, sind Salzablagerungen, mikroskopisch fein – kein anderes Gewebe besitzt diese Eigenschaft. Das Salz verhindert auch, dass man das Tuch färben oder bemalen kann. Nur Reliefdarstellungen lassen sich einweben oder -sticken.«
    Beide Arme ausgebreitet, hielt sie das Tuch ins Gegenlicht.
    »Das hier ist eine Webarbeit. Ja, ja, ich erkenne das Muster, wir besaßen noch eine Vorlage. Das Tuch wurde von meiner Großmutter Morta gewebt und war ursprünglich doppelt so lang. Ach, warum nur wurde es beschädigt?«
    Ich erzählte das wenige, was mir bekannt war. Nona schwieg dazu; sie hielt die Augen auf das Tuch gesenkt, ging irgendwelchen Gedanken nach. Doch ich wollte meine Zeit nicht mit Dingen vergeuden, die sich nicht ändern ließen, sprach lieber von Azur. Nona kannte die Marke, verwendete sie jedoch nicht für ihre tägliche Gesichtspflege. Sie sei kein Filmstar, meinte sie lachend, um so viel Geld für Kosmetik auszugeben. Ich hatte ihr Prospekte und kleine Warenmuster mitgebracht. Nona schnupperte interessiert an Töpfchen und Tuben.
    »Oh, ja, die Produkte riechen nach Algen. Sie arbeiten mit wenig Konservierungsmitteln, das ist sympathisch.«
    Ich erzählte ihr ausführlich, wie mir ein Zentrum der Byssusgewinnung vorschwebte, dass Azur Interesse zeigte und dass ich herausfinden wollte, ob sich die Steckmuschel nach dem Prinzip der japanischen Perlenmuscheln züchten ließe. Und auch, dass ich mehr über die Vermehrung der Pinna nobilis wissen wollte. Vollzog sie sich ebenso schnell wie bei der Austernmuschel, die ja für ihr Wachstum nur achtzehn bis vierundzwanzig Monate brauchte? Und natürlich musste eine Muschelzucht zunächst gesetzlich erlaubt werden, es waren ja hierzulande, ebenso wie in Italien, nicht die geringsten Bemühungen dafür im Gang.
    Nona schenkte mir große Aufmerksamkeit, nickte unentwegt mit gerunzelten Brauen, als ob sie mir jedes Wort aus dem Mund ziehen wollte. Sie wirkte fast gierig in der inneren Erregung, die sie gepackt hatte. Schließlich sagte sie:
    »In den sardischen Gewässern können kaum noch Steckmuscheln geerntet werden. Dabei wurden auf den Inseln Sant’ Antioco und La Maddalena noch vor dem Zweiten Weltkrieg Kleidungsstücke gewebt. Das ist vorbei, die Frauen wollen schnell Geld verdienen und keine Zeit mit Kleinarbeit verlieren. Ein Schal wie dieser?« Sie strich mit zärtlicher Hand über das feine Gewebe. »Eine solche Ausfertigung wäre heutzutage fast unmöglich! Ich bin wohl die Einzige, die einen Webstuhl besitzt, der nicht im Museum steht.«
    »Hier? Bei Ihnen?«
    »Oben, im Dachzimmer. Ich habe auch noch die Spindel meiner Großmutter.«
    »Ja, das hat mir Decima erzählt.«
    Nona sprach lebhaft weiter.
    »Hier auf dem Markt finden wir oft Steckmuscheln, ziemlich große sogar. Die Fischer verkaufen sie wegen ihres Fleisches. Sie wissen nichts von meiner Arbeit und reißen Zoten, wenn ich den Muscheln den Byssus entnehme.«
    Sie fing an zu lachen, als machte ihr die Geschichte Spaß. Ich sah sie verwundert an und fing dann auch an zu lachen. Unvermittelt wurde sie wieder ernst.
    » Giljan, der gern schnorchelt, hat auch Seegraswiesen ausgemacht. Und wo Seegras wächst, wachsen auch Steckmuscheln! Mir tut das Herz weh, weil ich weiß, dass sie vorhanden sind, weil ich meinen Webstuhl habe und nicht arbeiten kann! Jetzt endlich fasse ich Hoffnung!«
    Ihre Begeisterung war so ungehemmt und mitreißend, dass es mir leidtat, sie dämpfen zu müssen.
    »Wir stehen erst am Anfang, Signora. Bis unser Projekt läuft, können Jahre vergehen.«
    Über ihr Gesicht zog ein Schatten. Sie presste beide Hände auf den Schal, mit intensiver, fast besitzgieriger Geste, als wollte sie ihm ihren Stempel aufdrücken.
    »Die Zeit verrinnt«, sagte sie. »Sie rinnt mir aus den Händen.«
    Diesmal hatte ihre Unterlippe gezittert, und ihre Stimme war spürbar um einen Ton angestiegen. Und beim Anschauen ihres abgezehrten Gesichts überfielen mich Besorgnis und Kummer. Und was ich als sonderbar dabei empfand, war, dass ich plötzlich für nichts anderes mehr Sinn hatte, als ob sich alles nur um Nona drehte.
    »Ich weiß es, Signora, ich weiß es nur zu gut. Und glauben Sie mir, ich werde für Sie tun, was

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