Muschelseide
getrunken hatte, lehnte ich mich mit einem Seufzer des Wohlbehagens zurück. Kazuo erwiderte mein Lächeln, als ich sagte:
»Weißt du, ich könnte nicht überall auf der Welt leben.« »Nein?«
»Nein. Ich brauche das Meer, ich muss es in der Nähe haben. In Großstädten halte ich es nicht allzu lange aus. Das kommt von meinen Vorfahren, die Seefahrer, Kreuzritter und Korsaren waren. Was waren eigentlich deine?«
»Lehrer. Beamte. Stubenhocker. Ich kann mich da nicht groß
hervortun. Keiner fuchtelte mit dem Schwert, tut mir leid.« Ich beugte mich vor, um ihm ins Gesicht zu schauen. »Könntest du dir vorstellen, zeitweilig auf Malta zu leben?« Er hob leicht die Schultern,
»Am schönsten wäre es ja, wenn ich Buchhändler in Kyoto wäre...«
Ich lachte.
»Das ist wirklich eine Sache, die man gemacht haben muss.« Er trank langsam einen Schluck Kaffee.
»Früher, da war ich anders. Nicht so bequem, meine ich. Früher wollte ich etwas tun für den Erfolg.«
»Wie alle anderen?«, fragte ich.
»Wie alle anderen, genauso.«
»Und heute?«
»Heute will ich lieber etwas tun für mein Leben.«
»Das ist keine klare Antwort.«
»Wenn du eine klare Antwort willst: Doch, ich könnte zeitweilig hier leben.«
»Du hast alles verstanden«, sagte ich.
Er bewegte langsam den Kopf.
»Ich fürchte, nicht alles.«
»Sag mir, was du nicht verstehst ...«
Seine Augen waren schöner denn je. Er sagte mit leiser Stimme:
»Tja, wir werden uns noch lange und in Ruhe unterhalten müssen.«
Wir sahen uns an. Es war, als ob wir beide schwankten. Und plötzlich, im gleichen Atemzug, streckten wir einander die Hand entgegen. Unsere Finger verschränkten sich zu einem warmen, festen Knoten, und für einige Atemzüge saßen wir ganz still da.
Es wurde Zeit, dass wir aufbrachen. Das Licht nahm an Intensität zu, löschte aber die Farben noch nicht. Auf der Landstraße war alles ruhig, die Hotelgäste erwachten spät, und unser Wagen machte, wie mir schien, ein störendes Geräusch in der Stille. Wir hatten das Gefühl, durch eine Gegend zu fahren, die zeitlos war. Die spärlichen Korkeichen und Tamarisken ließen nicht die Dürre vergessen, das Land selbst glich einem Meer, zu Stein geworden, während die See wie erstarrt schien in mineralischem Blau. Kleine Dörfer kauerten an den Hängen; nur Reben und kleine Gemüsegärten zeigten, dass Menschen überhaupt hier leben konnten. Ich fand mühelos die Abzweigung zum »Fungus Rock« und erreichte »Dwejra Bay« ein paar Augenblicke später. Während wir über den Abhang dem Strand entgegenfuhren, sahen wir das Boot schon von weitem an der Leine liegen. Lorenzo, der sich geschäftig an Deck bewegte, hob grüßend den Arm. Das Boot war ziemlich groß, hatte eine halb überdeckte Kajüte und war wie alle Malteser Boote in leuchtenden Farben bemalt – außen dunkelblau, innen türkis. Sämtliche Messingbeschläge waren schön geputzt und glänzend. Der felsige Strand lag noch verlassen da. Auch auf der Mole war noch niemand zu sehen. Als wir uns mit unseren Sachen dem Boot näherten, flogen Möwen auf, ließen sich von einem Aufwind davontragen. Das Wasser roch süßlich-sauer, wie eine Frucht. Lorenzo half uns, auf das leicht schwankende Deck zu springen. Wegen der Hitze trug er ein langärmeliges T-Shirt und auf dem Kopf einen Strohhut. Blauweiß gestreifte Baumwollbezüge hingen über Leinen, die von den Wanten zum Mast gespannt waren. Lorenzo wies darauf.
»Gianna, Tommasos kleine Tochter, hat Cola verschüttet. Da habe ich die Bezüge schnell gewaschen. Außerdem wird es warm heute, und an Deck lässt sich es im Schatten nasser Wäsche besser aushalten.«
»Ist das ein Rennboot?«, fragte Kazuo.
Lorenzo nickte.
»Tommaso und ich machen manchmal bei Regatten mit. Das ist lustig. Aber wir gehören immer zu den Verlierern«, setzte er lachend hinzu.
Das Boot, ungefähr elf Meter lang, war nach Tommasos Töchterchen Gianna benannt und roch würzig und stark, nach frischer Farbe und Teer. Man konnte es ebenso mit Segeln wie mit einem Motor antreiben. Sturmklüver und Spinnaker lagen in der Segelkoje verstaut und schienen ziemlich lange nicht gebraucht worden zu sein. Wir setzten uns auf die zusammengelegte Persenning. Inzwischen zog Lorenzo die Leine ein. Er machte sich eine Weile am Motor zu schaffen, der gleich unterhalb der Kajütentür angebracht war. Dann ließ er den Motor anlaufen, der bald kräftig arbeitete. Die »Gianna« schob sich von der Mole ab, gewann mit
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