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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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dich aber langweilen, wenn ich tauche und du auf mich wartest. Vielleicht könntest du inzwischen Kant lesen.«
    Er lachte nicht, er schwieg eine Weile und sprach dann weiter:
    »Eigentlich bin ich mit sehr unklaren Erwartungen nach Malta gekommen. Meine Informationen hatte ich aus dem Internet und aus Reisehandbüchern. Bei dir lerne ich neue Einzelheiten, scheinbar fiktive, scheinbar geschichtliche, von denen ich glaubte, zuvor nie gehört zu haben. Doch sie sind mir nicht fremd, sie fließen ineinander über. Und allmählich merke ich, dass ich sie nur wiederentdecke. «
    »Hoffentlich findest du sie nicht absurd.«
    »Nein. Du bist eine Märchenfrau.«
    Ich lachte, das Gesicht an seine Schulter gepresst.
    »Ach, das hat mir noch keiner gesagt.«
    Er umfasste mich mit beiden Armen, sodass ich die Resonanz seiner Stimme in mir hörte.
    »Du machst Träume sichtbar. Nona hat es sofort gespürt. Warum hätte sie dir sonst ihren Traum erzählt?«
    Ich erstarrte leicht.
    »Daran habe ich nicht einmal gedacht.«
    »Ich zunächst auch nicht. Und ich habe keine Ahnung, ob man überhaupt einem vernünftigen Menschen mit solchem Zeug kommen darf. Andererseits ist mir ja gerade die Meinung eines vernünftigen Menschen wichtig.«
    »Bin ich ein vernünftiger Mensch?«
    »Wenn man so will. Aber im Grunde bist du wie Nona. « »Nona träumt mit offenen Augen«, sagte ich.
    Er betrachtete mich mit einem sanften, spöttischen Blick. »Du etwa nicht?«
    Ich lächelte flüchtig und dachte an ganz bestimmte Dinge. »Es fällt mir schwer, das völlig zu bestreiten!«
    »Siehst du?«, erwiderte er. »Nicht Dinge werden in Träumen erlebt, sondern Bedürfnisse, bevor sie zu Dinglichem werden. Manchmal ist eine Phantasie dargestellt, ein Verwandlungswunsch. Nicht die greifbaren Konturen sind zweckdienlich, sondern das, was unser Geist sich dabei wünscht. Jemandem seine Träume erzählen, damit fängt es an. «
    »Was fängt damit an, Kazuo? «
    Er stutzte leicht.
    »Ach, was damit anfängt? Ich denke, die Wirklichkeit. Sobald wir sie erträumen, erwacht sie zum Leben.«
    Ich spürte, wie ich leicht erstarrte.
    »Ja, ich weiß, was du sagen willst.«
    »Nona träumt von einer jungen Frau. Ich für meinen Teil glaube, dass sie existiert. Starke Menschen hinterlassen Spuren im Fluss der Ewigkeit. Ihre Umrisse dringen durch. Wie das Elektron eines Atoms verbindet sich ihre Erscheinung mit der Energie, die wir auslösen.«
    Ich blickte ihn an mit einer Art Staunen.
    »Du besitzt einen ganz besonderen Scharfsinn.«
    »Nicht immer, leider. Es ist nur so, dass ich Dinge, die mich interessieren, begreifen will.«
    »Man kann nicht allen alles verständlich machen«, seufzte ich. »Wir sind sehr katholisch, musst du wissen.«
    Er brach in schallendes Gelächter aus.
    »Siehst du darin einen Widerspruch?«
    Ich lachte auch.
    »Nein, eigentlich nicht.«
    Vor zehn Jahren noch hatte man in Ghawdex die Brauen gehoben, wenn ich als unverheiratete Frau mein Zimmer mit einem Mann teilte. Diese Zeiten waren vorbei. Das Hotel, ein imposanter Backsteinkomplex, musste voller Touristen sein, aber unser Zimmer im dritten Stockwerk war ruhig und angenehm kühl. Im Bett hätten nicht zwei, sondern vier Leute schlafen können. Ich sagte zu Kazuo:
    »Ist es nicht seltsam, dass ich ständig in Hotels lebe und eigentlich immer nur auf die Ferien warte?«
    Er blinzelte verschmitzt.
    »Bist du sicher, dass du weißt, was du willst?«
    Ich legte meine Hände an sein Gesicht, streichelte es sanft, ließ meine Fingerspitzen über seine Stirn, seine Wangen, seinen Mund gleiten, bevor ich sagte:
    »Weißt du immer, was du willst?«
    Was ich eigentlich damit sagen wollte und ihm nicht sagte, war, dass ich immer da sein wollte, wo ich mich gerade nicht befand. Dass ich immer den Drang gehabt hatte, vor Menschen und Orten zu fliehen, die sich vereinnahmen ließen. Ich war, so lange ich denken konnte, von dieser ewigen Sucht nach Bewegung getrieben. Aber jetzt war ich müde. Früher konnte ich mich problemlos jeder denkbaren Situation anpassen; jetzt aber gab es Orte für mich, die beständig sein sollten, und Menschen, die ich bewahren wollte. Er indessen erwiderte meinen Blick, als ob er in meinen Gedanken läse, bevor er leise sagte:
    »Doch, ich denke schon.«
    Und dann küsste er mich, und während wir uns umarmten, dachte ich, dass ich es wohl auch wusste: dass ich nichts wollte, nichts, wenn es nicht Liebe war. Aber vielleicht kannte mich Kazuo besser, als ich mich

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