Muschelseide
haben einen solchen Glanz, aber dies war eindeutig das Auge eines Menschen. Etwas anderes als eine Halluzination konnte es nicht sein. Schon zog sich die Erscheinung zurück; sie war nur ans Licht gekommen, um sich zu verdunkeln. Es war, als ob die Statue hinter ihr sie aufsog, sie in schimmernden Plankton verwandelte, in träumendes Gestein. Sie war bereits weg und verloren, als ich unwillkürlich herumwirbelte, um zu sehen, wohin ihr Auge soeben geschaut hatte. Da erblickte ich in den Wasserschichten eine Gestalt, die über einem Gestein zwischen Hell und Dunkel hing. Es durchzuckte mich wie mit Feuerzungen. Kazuo! Einige Stöße brachten mich zu ihm. Er bewegte sich nur noch schwach, sein Kopf baumelte zur Seite. Ich sah mit einem Blick, dass das eingerissene Fußteil seiner rechten Flosse in einer Ritze eingeklemmt war. Ich ging einen Stoß tiefer, packte das Flossenteil. Während ich zog und riss, wurde ich hochgehoben und wieder hinuntergeworfen, hart gegen den Stein geschleudert, spürte aber nicht den geringsten Schmerz. Endlich bekam ich die Flosse los. Schon trübte sich meine Sicht, mein Zwerchfell brannte und zuckte, es war das höchste Alarmzeichen vor dem »Breaking Point«, nach dem kein Atemanhalten mehr möglich ist. Luft, nur Luft, war mein einziges Bedürfnis. Ich packte Kazuo unter den Armen, stieg mit ihm auf, hielt ihn mit aller Kraft fest. Über mir leuchtete Sonnenlicht, das Wasser wurde transparent. Ich kam an die Oberfläche, viel zu schnell, es war, als ob das Meer explodierte. Ich atmete in Stößen, gierig und verzweifelt, und jeder Atemzug löste um mich herum ein Anbrausen und Zurückspülen der Wellen aus. Kazuo rührte sich nicht, lag schwer in meiner Umklammerung. Sein Kopf rollte auf meiner Schulter hin und her, seine Beine waren gerade und steif. Ich öffnete mit zitternden Fingern die Schnalle seiner Taucherbrille. Kazuos Augen waren geschlossen, ich konnte nicht ausmachen, ob er noch atmete. Der Seegang hatte plötzlich zugenommen. Das Wasser zerrte an Kazuo, als wollte es ihn aus meinen Armen reißen, ihn fortspülen, aber ich hielt ihn fest. Die Wellen schepperten mit einem seltsamen Dröhnen. Nach jedem Wellenschlag öffnete ich den Mund und sog keuchend Luft ein. Endlich vernahm ich durch den Aufruhr des Meeres ein vertrautes Motorengeräusch. Als ich mich aus dem Wasser hob, entdeckte ich die Gianna , die rasch näher kam. Lorenzo, der vor dem Rad stand und über das Kajütendach Ausschau hielt, machte ein Zeichen, dass er uns gesehen hatte. Das Boot kam im Bogen auf uns zu und so nahe wie möglich an uns heran. Dann verlangsamte die Gianna ihre Fahrt und hielt mit einem weißen Schaumkamm vor dem Bug. Ich schwamm mit letzter Kraft dem Schiff entgegen. Lorenzo drosselte den Motor, mittlerweile lagen nur ein paar Meter zwischen mir und dem Schiff. Lorenzo rannte über das Deck und warf mir eine Leine herunter, an der ich Kazuo befestigte, bevor ihn Lorenzo mit mächtiger Anstrengung aus den Wellen zog. Kazuos Gesicht war von seinen schwarzen Haaren bedeckt, sein Körper war kälter als das Wasser, die nachschleifenden Füße wurden von der Strömung hochgerissen. Lorenzo klammerte sich mit den Knien hinter der Reling fest, und es gelang ihm mit meiner Hilfe, den Verunfallten an Bord zu zerren. Dann packte er auch mich unter den Armen und zog mich hoch. Ich fiel auf die nassen Planken, versuchte, mich aufzurichten, taumelte wie eine Betrunkene, bevor ich meine Tauchermaske herunterzerrte und zu Kazuo kroch. Seine Haut fühlte sich eiskalt an, sein Gesicht war bläulich verfärbt. Wird das Gehirn eine Zeit lang nicht mit dem nötigen Sauerstoff versorgt, kann es zu neurologischen Schäden kommen, die zur Lähmung führen; auch ein lebensbedrohender Lungenriss kann die Folge eines solchen Tauchunfalls sein. Lorenzo gab mir ein Zeichen, ich sollte ihn machen lassen. Er legte den Bewusstlosen flach, knetete seinen Brustkorb mit kräftigem Schwung, machte Mund-zu-Mund-Beatmung. Plötzlich ging ein heftiger Ruck durch Kazuos Körper. Er schlug die Augen auf, drückte Wasser und blutige Spucke zwischen seinen Lippen heraus. Dann rollte er sich auf die Seite und übergab sich, noch mehr Wasser, Schleim. Dabei verschluckte er sich immer wieder, röchelte und hustete. Als er sich etwas beruhigt hatte, beugte ich mich über ihn.
»Kazuo ... kannst du sprechen?«
Er machte den Mund auf, schnappte gierig nach Luft, brachte jedoch außer einem Röcheln keinen Ton zustande. Meine Panik
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