Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
fragte ich.
    »Die Wunden mussten genäht werden. Die Klippen sind ja scharf wie Messer.«
    »Wird er wieder gehen können?«
    »Aber gewiss. Wir haben ja keinen Knochenbruch. Wollen Sie mit ihm sprechen? Wir gaben ihm ein Schmerzmittel, aber er ist bei Bewusstsein.«
    Sie führte mich in einen Raum, gleich neben der chirurgischen Abteilung, wo man die Patienten nach der Narkose unter Beobachtung hielt. Kazuo lag da mit geschlossenen Augen. Sein Gesicht hob sich dunkel von dem weißen Kissen ab. Neben seinem Bett stand der Infusionsständer, eine Nadel steckte in Kazuos rechtem Arm. Er schien zu schlafen, doch als ich behutsam näher trat, schlug er die Augen auf und deutete ein Lächeln an. Neben dem Bett stand ein Stuhl, auf den ich mich müde setzte. Er bewegte die Hand; ich nahm sie, presste sie an seine Wangen.
    »Besser?«, fragte ich leise.
    Er antwortete mit matter Stimme.
    »Beduselt.«
    »Was war eigentlich?«, fragte ich.
    »War es heute oder gestern?«
    »Kannst du dich nicht erinnern?«
    Er sprach langsam, die Augen ins Leere gerichtet.
    »Ich glaube, es war heute. Korrekt?«
    »Korrekt«, sagte ich, und er sprach weiter.
    »Ich wollte mir eine Steckmuschel ansehen, eine von diesen
    ganz großen, du weißt schon ... Ich glaube, dass mein Fuß da
bei in eine Spalte rutschte. Und dann ... saß ich fest.« »Dein Flossenblatt war eingerissen.«
    »Das hatte ich schon bemerkt. Aber ich dachte, das macht nichts.«
    »Bricht die beschädigte Flosse seitwärts aus, erhöht sich das Risiko, dass du irgendwo hängen bleibst. Ich habe immer ein zweites Paar dabei.«
    »Wie dumm, wie leichtsinnig ich doch war!«, sagte er voller Selbstvorwürfe. »Es tut mir ja so leid für dich!«
    »Für mich braucht es dir nicht leidzutun. «
    »Ich habe dein Leben in Gefahr gebracht.«
    Übelkeit stieg in mir hoch.
    »Nein. Nur dein eigenes Leben.«
    Danach sagten wir eine ganze Weile nichts mehr. In mir war die Spiegelung von einem Bild, das ich irgendwo gesehen hatte. Vielleicht nur, weil ich den richtigen Winkel für ein Profil entdeckt hatte? Und ich dachte an irgendetwas, sah immer nur das Bild, das ich nicht beschreiben konnte, das vielleicht nur eine Empfindung gewesen war oder ein Phantom.
    »Hast du Durst?«, fragte ich.
    Das Wasser, das ich ihm brachte, war eiskalt. Ich half ihm, sich aufzurichten.
    »Trink langsam«, sagte ich.
    Er nickte. Ich hielt das Glas, damit er trinken konnte. Dann lehnte er sich wieder zurück.
    »Wie hast du mich eigentlich gefunden?«
    Da war es wie beim Auftauchen, wenn mein Kopf an die Oberfläche brach und Licht mit blendendem Schein in meine Augen fiel. Das verborgene Bild glitt heran aus dem Zwischenreich. Ich sah es, wie in einer Wasserkugel, mit einem Beigeschmack von Verwunderung und Erschrecken. Ich flüsterte:
    »Moment mal ... Moment mal jetzt ...«
    Ich suchte nach Sätzen, die sich nicht hirnverbrannt anhörten.
    »Eigentlich wollte ich es dir erst später sagen ...«
    »Was denn?«
    Ich hielt das Glas noch in der Hand.
    »Sie war wieder da!«
    Er wusste sofort, wen ich meinte.
    »Redest du von Cecilia? Wo hast du sie gesehen?«
    Ich entsann mich an die Stelle, wo es gewesen war, und schnappte nach Luft. Die Erinnerung raubte mir den Atem.
    »Kannst du dir vorstellen, dass die Toten überall sind? Dass sie die Dinge wissen, die noch kommen?«
    »Eigentlich ja.«
    Eine Art Schleier verklebte meine Augen. Bindehautentzündung? Ich blinzelte den Schleier weg.
    »Sie kam deinetwegen, Kazuo! Nicht zufällig, sondern mit voller Absicht. Du verdankst ihr dein Leben! Das musst du mir glauben!«
    Er schüttelte leicht den Kopf.
    »Ich glaube dir alles. Es wundert mich nur.«
    »Es kam ja nur auf sie an«, sagte ich, »denn sonst ...« »Denn sonst was? «
    Mein Hals war zugeschnürt. Ich würgte die Worte hervor.
    »Stell dir vor, ich wäre nach oben geschwommen. Hätte dich gesucht und nirgendwo gesehen. Und Zeit dabei verloren. Schrecklich viel Zeit ..,«
    Er fuhr mit der Zunge über die verkrusteten Lippen. »Wäre es dann zu spät gewesen?«
    Ich antwortete mit großem Nachdruck.
    »Ja, ja, viel zu spät. Aber ich bin unten geblieben, Kazuo. Ich war viel zu sehr in Anspruch genommen von dem, was ich sah..,«
    »Hast du sie wahrhaftig gesehen?«
    Ich bedachte prüfend die Frage und dann meine Erinnerungen.
    »Ich .., ich denke, dass sie nicht wirklich da war. Dass ich sie mir .., in gewisser Weise .., nur eingebildet habe.«
    Ich zitterte nun am ganzen Leib, und die Tränen machten

Weitere Kostenlose Bücher