Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition)
vielleicht Dutzende und Hunderte ihr Leben ließen. An der Ostfront starben jeden Tag dreitausend Mann. Das war keinen Aufmacher und keinen Newsbreak wert. Der Einzelne freilich hat nur sein eines Leben. Wofür könnte er es zu opfern bereit sein? Alle Ansprachen, die alle Feldherren vor allen Schlachten der Weltgeschichte an ihre Soldaten richteten, zielten darauf ab, das Opfer als notwendig und sinnvoll hinzustellen. Thukydides hat in der Rede des Perikles das für alle Zeiten gültige Muster davon gegeben. Aber was könnte ein Ziel sein, das dem Einzelnen die Hingabe seines Daseins aufwöge? In welcher der drei Entscheidungsschlachten, die Alexander benötigte, um nach Persepolis zu gelangen, möchtest du hingemetzelt werden? Nach der Schlacht am Hydaspes ließ Alexander dem Poros seinen Königstitel, sein Land und seine Privilegien, aber dreißigtausend Mann hatten sterben müssen, um den Status Quo zu bewahren. Als Napoleon sich zum Kaiser krönte, meinte Talleyrand, das hätte man auch billiger haben können, dafür hätten nicht einige hunderttausend Menschen sterben müssen. Aber der Feldherr, der so denkt, kann nicht anders, als schleunig demissionieren. Wie viele Menschenleben ist ein Königstitel wert? Wie viele die Einnahme eines festen Platzes, die Behauptung eines strategischen Punktes? Drei Jahre lang fochten die Amerikaner sich quer durch den Pazifik, von Insel zu Insel. Wie viele Männer sind ein angemessener Preis für ein solches Eiland? Aber es gibt hier ein Muss, das keine Abwägungen zulässt. Wer sich zur Entscheidungsschlacht entschließt, der unterschreibt ein »Koste es was es wolle«. Die Landungstruppen in der Normandie mussten am ersten Tag der Invasion Fuß fassen. Auch wenn ein einzelner deutscher MG-Schütze allein an Omaha Beach zweitausend GIs niedermähte. Wofür könnte der Einzelne zu sterben bereit sein? Für das Vaterland – gewiss. Aber wenn das Vaterland gar nicht bedroht ist, sondern seinen Besitztümern, Provinzen und Kolonien lediglich eine weitere hinzufügen will? Der Einzelne kann darüber nicht entscheiden. Er muss es auch nicht, denn es ist längst für und über ihn entschieden. Es gibt keinen rationalen Grund, das Leben aufzuopfern. In der Entscheidung um Alles oder Nichts, kann nichts das Alles überwiegen. Denn es gibt nichts geringeres als das Nichts und nichts größeres als Alles. Freilich gibt es für den Menschen auch und zumeist andere Gründe als die rationalen. Jahrhundertelang sind die Kämpfer des Dschihad nicht um irgendwelcher Ziele willen in den Krieg gezogen und in den Tod gegangen, sondern um des Krieges und um des Todes willen. Und immer wieder sind westliche Heere an den Horden aus dem Osten gescheitert, die nicht um innerweltlicher oder höherer Werte willen, sondern um des Kampfes willen kämpften und um des Schlachtens willen schlachteten. »Der Feldherr«, so lautete das diesbezügliche Resümee des älteren Ash, »der sich unter solchen Umständen zur offenen Feldschlacht entschließt, muss wissen, worauf er sich einlässt. Er hat wenig zu gewinnen, und die Schlacht wird schwerlich das erwartete Ergebnis zeitigen. Es sei denn, er entschlösse sich, sie bis zum bitteren Ende durchzufechten, bis zur eigenen Vernichtung oder der des Gegners, um weitere Treffen dieser Art für alle Zukunft unnötig zu machen.« Der Krieg, der alle Kriege beendet – und auch das hat es in der Geschichte immer wieder gegeben.
*
»Aufpassen!«, schrie ich. »Geschwader auf neun Uhr!«
Wir flogen über der Wolkendecke, die gerade ein hauchzartes Lachsrosa annahm. Über uns dehnte sich der ultramarinblaue Himmel, an dem einzelne Sterne flimmerten. Jennifer hatte einige Manöver geflogen. Sie war mehrfach in die Wolkendecke eingetaucht und wieder über sie hinausgestoßen, um das Bodenradar zu täuschen und die Satellitenerfassung des äußeren Verteidigungsgürtels abzuschütteln. Ich hatte nicht jede ihrer taktischen Wendungen durchschaut und sie schienen auch nicht bis ins letzte erfolgreich gewesen zu sein. Von Backbord näherten sich rasch fünf Lichtpunkte.
»Hab’s schon gesehen«, sagte sie gedehnt zwischen den zusammengebissenen Zähnen. Sie war konzentriert in ihre Instrumente vertieft, an denen sie ein paar Schaltungen vornahm. Dann hob sie den Blick von dem kryptischen Bedienpult und lachte mich grimmig an.
»Festhalten! Und klar zum Feuern!«
Sie warf die Maschine herum und schoss direkt auf die angreifende Formation zu. Ich sah, dass zwei
Weitere Kostenlose Bücher