Museumsschiff (Gaugamela Trilogie) (German Edition)
einer Migräne – was übertrieben, aber nicht gelogen war –, um sich in den angrenzenden Räumen zu ergehen und einen Arzt zu rufen. Die Komarowa ließ ihn gewähren. Sie hatte es sich in der weiten sensoriellen Kissenlandschaft, die sie gemeinsam mit dem Kommandanten bewohnte, gemütlich gemacht und entspannte sich bei einem HoloFilm.
Wiszewsky schlich in sein Besprechungszimmer. Statt einen Mediziner zurate zu ziehen, rief er einen Mann seiner persönlichen Garde, von dem er wusste, dass er ihm uneingeschränkt vertrauen konnte. Der Mann, ein spanischstämmiger Corporal, staunte nicht wenig, als er den Commodore im Nachtrock, mit bleichen Wangen, zur Berge stehendem Haar und dunkel umrandeten Augen, durch die Tür seiner privaten Gemächer wanken sah. Wiszewsky verpflichtete ihn zu äußerster Verschwiegenheit. Dann forderte er ihn auf, ein Shuttle kommen zu lassen und es an die nächstgelegene Schleusenkammer zu dirigieren. Zu einem Fußmarsch von mehreren Kilometern fühlte er sich außerstande. Als das Fluggerät eintraf, nahmen Wiszewsky und sein Wachmann Platz und schossen in den Raum hinaus, um mehrere Segmente der MARQUIS DE LAPLACE hinter sich zu bringen. Wenige Minuten später glitt das Shuttle durch das knisternde Kraftfeld und landete in einem der vorderen Hangars des Großen Drohnendecks.
Wiszewsky stieg aus, verfluchte seinen knirschenden Knochen und winkte die verdutzte Mannschaft heran, die hier den Nachtdienst angetreten hatte. Dann stand er unter dem Hangar, der den Restbestand an Ionensonden barg. In unsichtbaren generatorgestützten Kraftfeldern stabilisiert, schwebten drei der schwarzen, kirchturmhohen Zylinder in der Halle, die von der blauen Notbeleuchtung in eine fahle Atmosphäre getaucht wurde. Der Commodore seufzte schwer, wie er in den letzten Tagen des öfteren hatte seufzen müssen. Aber alle Stoßseufzer nützten nichts, wenn aus ihnen nicht Taten hervorgingen. Von seinen Männern umringt, die nicht zu sprechen wagten und irritiert seinen kupferroten Nachtrock und seine ausgetretenen Pantinen aus selbstwärmendem sensoriellen Gewebe musterten, grübelte er skeptisch zu den dunkelschimmernden Raketen empor. Wenn man nur noch drei Schuss im Revolver hatte, musste man sich jeden einzelnen von ihnen gut überlegen. Aber wenn es darum ging, das Leben der Freunde zu retten – was gab es da noch zu überlegen?!
Er wandte sich jäh zu den Männern um und verkündete ihnen ihre Aufgabe. Diese überraschte sie indes weniger als das Schweigegelübde, das er ihnen abforderte. Seit Tagen liefen Gerüchte im Schiff um, die das Ausbleiben der ENTHYMESIS bis in den letzten Winkel getragen hatten. Da nun aber Norton und die Seinen nicht nur innerhalb der Fliegenden Crew beliebt waren, sondern bei der gesamten Besatzung der MARQUIS DE LAPLACE Respekt genossen, fiel es den Technikern nicht schwer, sich für den Auftrag zur Verfügung zu stellen. Und da umgekehrt Frankel wenig Sympathien genoss, mochte ein Moment der Schadenfreude dazukommen.
Die Männer zögerten keinen Augenblick. Mit trotziger Entschlossenheit machten sie sich ans Werk. Es dauerte keine Stunde, bis eine Sonde aus ihrer Verankerung gelöst, betankt und zur Abschussvorrichtung am Hangartor gefahren war. Wiszewsky überwachte persönlich die Programmierung der semi-intelligenten Automatik, die vor Ort ein komplexes Verhalten ausführen und unter Umständen eigene Entscheidungen treffen musste. Glücklicherweise lagen in der Hauptsteuerung des Fluggeräts genügend Routinen bereit, die jetzt nur aktiviert und mit einer Prioritätenabfolge versehen werden mussten. Dann traten die Männer zurück. Das Ionentriebwerk zündete und trug die Sonde in den Raum hinaus. In einiger Entfernung wurde der Warpkern aufgeschaltet, und die Drohne verschwand in einem weißblauen Lichtblitz.
Wiszewsky und die Männer blieben in der riesigen Halle zurück. Einst hatten hier vier ENTHYMESIS-Explorer gestanden. Nun prangte die Leere in dem kilometerlangen Raum, in dem man Rundflüge hätte veranstalten können. Einer der Techniker schleppte einen gravimetrischen Sessel aus dem Office herbei, in dem sie ihre Nachtwachen zuzubringen pflegten. Für gewöhnlich vertrieben sie sich, wenn keine dringenden Instandsetzungsarbeiten anfielen oder Reparaturaufträge auszuführen waren, die Zeit mit billigen HoloFilmen und mit Geschwätz. Der unerwartete Besuch des Commodore, dem die meisten noch nie von Mensch zu Mensch begegnet waren, brachte mehr als nur
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