Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Ordensbänder an seiner Brust, wo auch sein Name – Bannerman – auf der Uniform prangte. Ich malte mir seine Eltern aus, wie sie zu Hause auf ihn warteten: Mama und Papa Bannerman, die auf der bröckelnden Veranda einer ärmlichen Farm im Mittleren Westen hockten, Limonade tranken und nach der Staubwolke des Überlandbusses Ausschau hielten. Dann spürte ich erneut sein hasserfülltes Starren, und es wurde zunehmend schwieriger, sie mir vorzustellen. Wer konnte dieses Untier ins Leben geschissen haben? Eine Killerin nach einem Rudelbums mit ein paar Dutzend Vergewaltigern? Pure Mordlust, die zusammen mit Hass zur Keimzelle dieses viehischen Monsterarschlochs gerann. Ich nickte, und bevor mein Blick sich angesichts des bevorstehenden Kampfes verengte, konnte ich aus den Augenwinkeln gerade noch wahrnehmen, wie Bernie die Wählscheibe des Telefons traktierte. »Die habe ich bekommen, weil ich deinen feigen Arsch verteidigt habe«, mit zitternden Fingern fuhr der Riese über die bunten Bänder auf seiner Brust, »also nenn mich nicht ›Mann‹, Bürschchen.«
»Sorry, mein Fehler.«
»Das kann man wohl sagen«, er zeigte auf den Fernsehschirm. »Bist wohl einer von den Peaceniks aus der Glotze, hä?« Er schubste mich. »Einer von diesen schwulen Schlappschwänzen, die uns Babykiller nennen …« Ich sagte kein Wort und versuchte bloß abermals, nach meiner Tasche zu greifen. Bannerman legte seine Hand – einen feuchten roten Fleischlappen – auf meinen Arm und beugte sich zu mir herab. Sein Atem roch nach Blut und Diesel.
»Soll ich dir was sagen?« Mit gesenkter Stimme, sein Gesicht nur noch Zentimeter von meinem entfernt, starrte er mich an. »Ich habe Babys gekillt. Einen ganzen Haufen dieser kleinen gelben Bastarde hab ich kaltgemacht. Ich hab die kleinen Scheißer abgeknallt, ersoffen und verbrannt. Wie findest du das, du kleiner Wichser?«
»O Mann«, sagte ich. Und als ich einen Blick in den Spiegel über der Bar warf, die vier Securitymänner hinter mir in den Laden drängen sah und die Quaalude, den Wodka und das Bier in meinem Blut spürte, war mir plötzlich alles egal. »Ich wundere mich nur, dass du sie nicht auch noch gebumst hast, du beschissene Schwuchtel.«
Seine Miene wechselte erst von grimmig zu verwirrt und dann – als er nach zwei Sekunden endlich seinen Ohren traute – zu rasender Wut. Diese zwei Sekunden reichten mir, um außer Reichweite zu hechten, und just in dem Moment, als er nach mir ausholte, griffen die Sicherheitsleute zu. Drei von ihnen packten ihn, und ich stürmte Richtung Gate davon – meine Stiefel polterten über den Marmorfußboden des neuen LaGuardia-Terminals, als ich in der anonymen Masse der Anzugträger mit ihren Aktentaschen und Zeitungen verschwand.
Auf der anderen Seite des Gangs bestellte ein Anzugtyp einen weiteren Scotch mit Soda – »Dangeschönschätzschen« –, während die Stewardess mich weiterhin ignorierte. Ich drückte den Knopf, obwohl sie keine drei Meter von mir entfernt war. Schließlich bequemte sie sich herüber und knipste das Servicesignal über mir aus, als wäre es eine Zumutung, dass ich es überhaupt betätigt hatte.
»Könnte ich bitte noch einen Wodka haben?«
Sie präsentierte mir das aufgesetzte Lächeln einer Talkshow-Moderatorin, nahm mein leeres Glas und verschwand. Erst als es keine einzige Zeitung mehr zu bringen und keinen Kaffee mehr aufzufüllen gab, servierte sie mir endlich meinen Drink.
»Vielen Dank.«
»Gern geschehen«, sagte sie, wobei sie es irgendwie schaffte, diese Bemerkung wie »Ich hoffe, du krepierst dran« klingen zu lassen.
Ich trank das halbe Glas in einem Zug leer und presste die Stirn gegen das Fenster. Es war eiskalt, und meine Schläfen wurden taub, während ich beobachtete, wie sich unten am Boden das Braun Pennsylvanias in Weiß verwandelte und dann, weit voraus, die gewaltige, froststarre Fläche des Ontario-Sees erschien. In meinem Kopf sang Richards Stimme »Georgia On My Mind«, einen Song von Sehnsucht und Heimkehr – »In peaceful dreams I see …« –, und mir wurde, wohl aufgrund des Alkohols und so, plötzlich ganz wehmütig zumute. Bloß für ein, zwei Sekunden überkam mich da oben im Himmel über der Grenze ein Anflug von Heimweh. Ich wollte nach Hause, meine Leute sehen und durch die Straßen laufen. Dann forderte der Pilot uns über Lautsprecher auf, die Sicherheitsgurte anzulegen, da wir in Kürze landen würden, und riss mich so aus meinen schmalzigen Tagträumen. Gab es
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