Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Polyesterhemd trieb. Eine Kellnerin trat an ihn heran, eine Chinesin, vielleicht Ende dreißig. Obwohl sie früher vermutlich mal ganz hübsch gewesen sein dürfte, sah sie heute aus, als wäre der lange, harte Tag, den sie ganz offensichtlich hinter sich hatte, bloß der Gipfel eines langen, harten Lebens: Das Haar klebte ihr in der Stirn, in der linken Hand hielt sie einen zerfledderten Block, in der rechten ein nasses Tablett. »Die da hinten wollen noch vier Pitcher und eine weitere Runde Tequila«, sagte sie und klang dabei so angespannt, wie man halt klingt, wenn man für einen Hungerlohn den ganzen Tag von betrunkenen Arschlöchern zur Sau gemacht und dafür auch noch um sein Trinkgeld betrogen wird.
»Die haben genug«, erwiderte der Barmann, ohne den Blick vom Zapfhahn zu heben.
»Na schön, warum gehst du dann nicht zu ihnen rüber und sagst es ihnen persönlich, Bernie?«
Seufzend hob er den Kopf. Ich folgte seinem desillusionierten Blick. In der Ecke, unter dem großen Fernseher, über dessen Bildschirm ein Footballspiel flimmerte, saß ein halbes Dutzend Marines in Uniform. Ihre grünen Rucksäcke stapelten sich um sie herum wie Sandsäcke. Sie hatten sich regelrecht verschanzt: Laut lachend und grölend hatten sie die sonnengegerbten, kahl rasierten Köpfe zusammengesteckt wie die Footballspieler über ihnen. Nur dass die Jungs am Tisch sogar noch massiger waren. Einer von ihnen, ein riesiger Fiesling mit einer übel aussehenden frischen Narbe, die sich wie ein pinkfarbener Wurm seinen Hinterkopf hinaufschlängelte, stand plötzlich aufgebracht gestikulierend auf, tat so, als würde er nach einem Maschinengewehr greifen, und feuerte die imaginäre Waffe zur Veranschaulichung der gerade erzählten Geschichte mit martialischem »Ich mach euch alle platt!«-Gebrüll ab. Der Rest der Truppe lachte sich kaputt.
Was für eine verkorkste Scheiße. Hier bei uns kriegten solche Typen nicht mal einen Job in einem Schnellimbiss, saßen den ganzen Tag auf der Veranda und ballerten auf Flaschen und Dosen. Doch da drüben in Vietnam waren sie allmächtig. Einer von ihnen, fast noch ein Kind, höchstens zwanzig, musterte mich von oben bis unten, taxierte meine ausgelatschten Cowboystiefel, die abgerissenen Jeans, das aus der Hose hängende karierte Holzfällerhemd und meine Frisur. Verdammt, meine Haare waren gar nicht mal so lang. Ich hatte sie ein paar Zentimeter gekürzt, nachdem ich Dylan bei Grossman gesehen hatte. Aber dieser Junge starrte mich an, als wäre ich hier aufgeschlagen, eine Flasche Pennerwein in der einen Hand und eine Packung Kondome in der anderen, um seine Schwester zum Abschlussball auszuführen.
Der alte Bernie verschwendete nicht allzu viel Zeit auf seine Entscheidung. »Ach, scheiß drauf«, sagte er, griff nach der Schnapsflasche und stellte einen neuen, eisgekühlten Pitcher unter den Zapfhahn. »Was soll’s sein, Kumpel?«, fragte er, während er eine Papierserviette vor mir auf den Tresen legte und sich mit dem Unterarm die Stirn wischte.
»Ich hätte gerne ein Bier und …« Mein Blick schweifte über das Regal mit dem harten Stoff: grünes Glas, klares Glas, braunes Glas. Die Weihnachtsdekoration hing immer noch, kleine grüne Papiertannenbäume und Lamettastreifen baumelten über und zwischen den Flaschen. Auf einem roten Schild über der Kasse stand in glitzernden Goldbuchstaben »Happy New Year 1968«. Es war ein trauriger Anblick, als würde niemand jemals Notiz davon nehmen, außer beim Schielen nach dem Lieblingswhisky. »Ähm, einen doppelten Wodka?«
»Eis?« Ich nickte. »Die Jungs da lassen sich ordentlich volllaufen?«, fragte ich ihn und nickte in Richtung der Bande pöbelnder GI-Joes.
»Die saufen schon den ganzen Morgen.« Er schüttelte resigniert den Kopf. »Wegen des Schnees haben viele Flüge Verspätung. Immer mehr von den Jungs werden im Einsatz verletzt, dann stranden ein paar von ihnen hier, bevor sie nach Iowa oder sonst wohin weitergeschickt werden. Sie waren im Dschungel, Gott weiß, was für eine Scheiße die da gesehen haben. Denen geht alles am Arsch vorbei. Letzte Nacht hat doch glatt einer von denen gegen die Bar gepisst. Was soll ich tun? Mich mit einem ganzen Platoon anlegen? Nein danke, Sir. Ganz bestimmt nicht für einen Dollar die Stunde plus Trinkgeld.«
Er stellte meine Drinks vor mir ab und goss weiter Tequila ein. Ich kippte den Wodka in einem Zug runter – kein Geschmack, bloß Kälte und Brennen – und zündete mir eine Zigarette an.
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