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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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arbeitet jetzt bei ihrem Vater in der Firma.«
    Ritchies Bass – ein wirklich schöner 58er Precision mit Sunburst-Lackierung und Rosenholzhals – lehnte in der Ecke, eine dünne Staubschicht lag auf dem Schlagbrett. Ich erinnerte mich noch an den Tag, an dem er ihn gekauft hatte, damals, im Sommer 1960: Das Taschen-, Weihnachts- und Geburtstagsgeld eines ganzen Jahres war dafür draufgegangen. Auf der Fahrt nach Hause hatten wir stolz im Bus gesessen, den schweren Fender-Bass auf unseren Knien. Dann hockten wir hier unten und sahen mit dem Duft von Holzpolitur in der Nase stundenlang zu, wie das Sonnenlicht auf der verchromten Tonabnehmer-Abdeckung glitzerte – damals wussten wir noch nicht, dass man sie abnehmen musste, um Rock ’n’ Roll zu spielen. »He«, fragte ich und zeigte darauf, »spielst du noch oft?«
    »Nö. Oh, außer letztes Jahr, da haben ein paar von uns auf Peter Duggans Hochzeit gespielt.«
    »Ach du Scheiße, Peter hat geheiratet?«
    »Ja ja, ich weiß! Nun, er hatte wohl keine andere Wahl …«
    Wir lachten. Pete »Meatman« Duggan war von unseren Kumpels einer der wildesten gewesen. Einmal, in der Junior High, hatte er sich absichtlich in die Hose geschissen, um von jedem von uns einen Vierteldollar dafür einzustreichen.
    »Du, Greg«, sagte Ritchie, »weißt du noch, damals, als er sich für einen Dollar in die Hose gekackt hat?«
    »Alter, das war noch nicht mal ein Dollar. Wir waren ja nur zu viert, und zwar inklusive Pete. Das waren höchstens fünfundsiebzig Cent.«
    Wir kicherten eine Weile vor uns hin. Dann schlürften wir an unserem Bier, während jeder für sich darüber nachdachte, ob es wohl besser wäre, noch eine Anekdote auszugraben und weiter zwischen den Wurzeln unser Freundschaft herumzustochern, oder sich der Gegenwart zuzuwenden. Ich deutete auf das Cover von John Wesley Harding , ein Foto von Dylan mit einer Gruppe Bauls, diesen verrückten bengalischen Wandermusikern, die Grossman nach Woodstock geschleppt hatte. »Weißt du, dass das Foto nicht weit von unserem Haus aufgenommen wurde?«
    »Wirklich?«, fragte Ritchie. »Hast du Dylan mal gesehen, ich meine, so richtig von Nahem?«
    »O ja, wie es der Zufall will, war ich vor ein paar Wochen mit ihm auf einer Party.«
    »Kein Scheiß?« Ich schlürfte nur an meinem Bier. Er sah, dass ich keinen Witz machte. »Wow. Wie ist er so?«
    »Bob? Er ist … cool. Eher zurückhaltend, weißt du? Fährt seine Kinder morgens selbst zur Schule. Er interessiert sich für Malerei und solche Sachen.«
    »O Mann, Greg. Du und Bob Dylan. Scheiße, Alter.«
    »Ist eigentlich nichts Besonderes. Da unten sind einfach alle total locker drauf.«
    »Wahnsinn. Lässt er’s manchmal krachen?«
    »Eigentlich nicht. Er macht jetzt mehr auf Familie. Aber er raucht Gras.«
    »Du hast mit Dylan zusammen gekifft?«
    »Klar. Ein paarmal. Wo wir gerade davon reden …« Ich klopfte auf meine Hosentasche.
    »Ah. Ich würde ja echt gerne, Greg, aber ich muss morgen arbeiten.«
    »Tja, du trägst jetzt Verantwortung, was?«
    »Na ja, weißt du …« Er lachte.
    Abermals verfielen wir in Schweigen, und in die Stille hinein sang Dylan:
    »Oh help me in my weakness,
    I heard the drifter say.
    As they carried him from the courtroom,
    and were taking him away.«
    Wir lauschten beide, bis der Song zu Ende war. Die Nadel in der Auslaufrille knackte und hüpfte, wie sie es tausendfach getan hatte, als wir Kids waren. Als Ritchie aufstand, um die Platte umzudrehen, fragte er mich: »Und, wann gehst du deinen Dad besuchen?«
    »Ziemlich bald, schätze ich.«
    »Irgendwie schwer zu glauben, stimmt’s?«, sagte er traurig. »Dass deine Mutter vor ihm gegangen sein soll. Nach alldem, was …«
    Das Herz meiner Mutter hatte versagt. Es lag wohl in der Familie. Ihr Herz war immer schon schwach gewesen. Oder vielleicht hatte es über die Jahre zu viel zu verkraften gehabt. »Allerdings«, erwiderte ich und bearbeitete mit dem Öffner eine weitere Dose, »das ist es.«
    »Weißt du, dass ich deinen Vater vor ein paar Monaten getroffen habe, drüben im Park?«
    »Tatsächlich? Und wie ging’s dem guten Doktor?«
    »Ach Scheiße, Greg. Ich glaube, er hat mich nicht mal erkannt.«
    Ich setzte mein Bier auf dem Tisch ab und zeigte auf den verstaubten Bass. »Gib mir das verdammte Ding doch mal rüber. Hast du noch irgendwo ’ne Gitarre rumfliegen? Na los, lass uns ein paar Nummern für meine armen Eltern spielen.«
    Der Schnee lag dicht, es schneite noch immer: Die

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