Music from Big Pink: Roman (German Edition)
Zuschauerraum trollten. Nach einiger Zeit kamen Rick und Richard raus, sahen uns und nahmen uns mit hinter die Bühne. Dort stand ein Mädchen heulend vor der Tür zum Backstagebereich und bettelte einen der Sicherheitsleute an: »Ich muss unbedingt Bob Dylan treffen. Ich muss .« Richard legte den Arm um mich, als wir die Ordner passierten. »Wie hat’s dir gefallen?«, fragte er.
»Verdammt, Mann. Es war fantastisch. Du hast wirklich …«
»Danke für die Blumen«, sagte er, »aber ich meinte …«
»O ja, schon klar. Für Guthrie-Songs echt ziemlich heftig. Wirklich abgefahren.« Er drückte meine Schulter.
In einer großen Garderobe drängelten sich alle Mitwirkenden der Show mitsamt ihrem Anhang. Da waren Odetta, Pete Seeger, Judy Collins, Arlo Guthrie. Am anderen Ende des Raums sah ich Grossman mit einem Fotografen streiten. Mann, der Typ hörte niemals auf. Levon stellte sich zu uns, er war unheimlich nett. »Wollt ihr was trinken, Leute?« Sie hatten große Abfalleimer randvoll mit Eis, Bier, Softdrinks und Wein gefüllt. Unwillkürlich fragte man sich, was Woody Guthrie – ein Mann, der hin und wieder gezwungenermaßen aus Abfalleimern gegessen hatte – wohl davon gehalten hätte. Aber ich verschwendete nicht allzu viel Zeit an diesen Gedanken, sondern griff nach der kalten Dose, die Levon mir entgegenhielt.
»Tolle Show, Mann.«
»Hölle, ja, ein bisschen ruppig vielleicht, aber den Leuten schien’s zu gefallen. Eins sag ich dir, das ist definitiv besser, als von ’nem Haufen beschissener Beatniks ausgebuht zu werden! Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, junge Dame«, wandte er sich an Skye, die über seinen altertümlichen Südstaaten-Charme lachte.
Ein paar Meter weiter wurde Dylan von einem Rudel College-Kids belagert. Eins von ihnen, ein in allen Regenbogenfarben gekleidetes süßes Teenager-Girl, stellte ihm mit ergebener Miene Fragen, während ihr langhaariger Freund, in Poncho und lindgrüner Cord-Schlaghose, sich Notizen in einen Block kritzelte. Wie er so dastand, mit Brille und Anzug, ihren Fragen lauschte, hin und wieder nickte und jeden Blickkontakt mied, sah Dylan aus wie ein Priester, der die Beichte abnahm. Levon kicherte: »O Mann, ständig fragen ihn diese Kids nach seiner Haltung zum Krieg in Vietnam. Und was macht er? Erzählt ihnen was vom alten Charlie Joy.« Charlie Joy, der Tischler und Tagelöhner von Woodstock. Wir lachten.
Ein anderes Mädchen – in einem psychedelischen Wickelkleid, mit irren Klunkern behängt und indianischen Zöpfen im Haar –, das schon ziemlich betrunken aussah, stellte sich zu Robbie und Rick und unterbrach deren Gespräch. »Ihr seid doch in Bob Dylans Band, stimmt’s?«
»Stimmt«, erwiderte Robbie müde, sicher zum tausendsten Mal in seinem Leben.
»Kann ich euch was fragen?« Sie warteten. »Warum zieht ihr euch so komisch an?«
Die beiden – in ihren dunklen Anzügen und Hemden – sahen sie an, die personifizierte East-Village-Freakshow, und brachen in Gelächter aus. Was sollte man solchen Spinnern auch antworten?
Später landeten wir dann alle auf dieser Party im Dakota Building. Ich war schon einmal dort gewesen, weil ich für Manny Gras ausgeliefert hatte, an so eine Fernsehproduzentenschwuchtel, die total auf mich stand. Die Party stieg in der Wohnung von Robert Ryan, diesem Schauspieler. Es war einer jener Upper-Westside-Paläste, wie man sie nur aus dem Kino oder Fernsehen kannte: riesengroß, hohe Decken, gigantische Fenster mit Blick auf den Park, das volle Programm. Alex pfiff anerkennend durch die Zähne, als wir hereinkamen.
Früher am Abend, beim Konzert, hatte Ryan aus Guthries Autobiografie gelesen, und er hatte in Das dreckige Dutzend mitgespielt, diesem Lee-Marvin-Film, der letztes Jahr im Kino lief. Er schien ein cooler Typ zu sein. Ich meine, er muss mindestens siebzig Jahre alt gewesen sein, aber er hatte immer noch diesen schroffen 50er-Hauptdarsteller-Charme. Skye zog wieder ihre Kleinmädchennummer ab und bestand darauf, ihn kennenzulernen. Das Publikum war ein wenig älter, aber immer noch ausgesprochen hip. Wir okkupierten eine kleine Ecke des Raums und blieben dort. Ich konnte beobachten, wie Robbie gelassen umherschlenderte, Drink und Zigarette in der Hand, und sich feiern ließ. Als er bei uns vorbeikam, trafen sich unsere Blicke, und ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen: »He, Robbie. Spitzenshow.«
»Danke.« Er nickte mir zu.
»Muss Spaß gemacht haben, endlich wieder vor Publikum zu
Weitere Kostenlose Bücher