Music from Big Pink: Roman (German Edition)
suchte zärtlich nach einer geeigneten Vene – die aberwitzige Parodie eines Vaters, der sein Kind badet.
»Das war vor langer Zeit, Dad.«
»Nein, mein Sohn. Eigentlich nicht.«
Als ich klein war, hatte ich mir immer gewünscht, dass er mich öfter »Sohn« nannte. Es hieß immer »Greg«, und ich schmolz regelrecht dahin, wenn er mich mal mit »Sohn« anredete, weil ich mich ihm dann näher fühlte. Aber nach einiger Zeit war es nur noch »Greg« – und dann, je mehr er sich in sich zurückzog, hörte er auf, mich überhaupt irgendwie zu nennen.
Er schob die Nadel mit medizinischer Präzision in die dicke Vene, die mitten in meiner Armbeuge verschwand, drückte den Kolben und setzte mir meinen ersten Schuss.
Ich sah Feuerwerk an einem warmen Sommerhimmel.
Zelluloid, das im Projektor verbrennt.
Gleißendes Weiß.
Lockendes Schwarz.
acht
»We’re gonna put away all of our tears.«
Das Saallicht erlosch, und die Menge jubelte. »O mein Gott! Er ist es wirklich!«, quiekte ein Mädchen hinter uns atemlos. Skye und Jeannie sprangen auf und klatschten, Alex und ich pfiffen, als Dylan die Bühne der Carnegie Hall betrat, flankiert von Robbie und Rick. Das alte Theater war voll bis auf den letzten seiner rund zweitausend Plätze. Die Luft knisterte vor Applaus und Erwartung.
Die Leute konnten es einfach nicht fassen. Er hatte seit fast zwei Jahren nicht mehr in Amerika auf der Bühne gestanden, und alle erwarteten die Korkenzieherlocken, die Sonnenbrille und die verzerrte Telecaster. Nicht jedoch sein kurzes, gepflegtes Haar und die scharfen, aber konservativen Anzüge, alle in gedämpften, dunklen Farben. Nicht den Woodstock-, den John Wesley Harding -Dylan.
Die Band zählte an und stürzte sich sofort in Guthries »I Ain’t Got No Home«, nahm den Song richtig hart ran: Robbie haute die kratzigen, knalligen Licks nur so raus, Dylan schrubbte auf einer großen alten Martin, und Rick wiegte sich breit grinsend im Takt seiner wummernden Bassläufe, während seine Finger die dicken Saiten rauf- und runterrutschten. Rechts und links von ihnen bearbeiteten Richard und Garth mit gesenkten Köpfen ihre Tasten. Es war das erste Mal, dass wir Levon wirklich spielen sahen, und – kein Zweifel – er hatte seinen Spaß dabei: Statt auf seine über das glitzernde Schlagzeug wirbelnden Hände starrte er mit zurückgeworfenem Kopf in die Scheinwerfer hinauf und knurrte seine Backingvocals in das über ihm hängende Mikro. Die Band spielte ohne Rücksicht auf Verluste: Rick beugte sich vor, um sich mit Dylan das Mikro zu teilen, und sein Gitarrenkabel spannte sich quer über die Bühne, als beide den Refrain grölten.
Es war großartig, wieder zurück zu sein. Am Tag zuvor hatte ich vor Freude fast geheult, als beim Landeanflug endlich die silberne Silhouette Manhattans unter dem Flugzeug erschien: Zweihundert Tonnen kalten Stahls stießen durch die eisigen Winterwolken, und mit steifen Gliedern blickte ich auf den grauen Hudson hinab.
Als ich bei Tagesanbruch in der Badewanne aufgewacht war, hatte sich mein Vater wieder nach oben in sein Geisterreich zurückgezogen. Ich bestellte ein Taxi und fragte mich dabei, ob ich das alles nur geträumt hatte. Aber als ich meinen Ärmel hochkrempelte, sah ich den kleinen roten Punkt, den Bienenstich in meiner Armbeuge.
Nach der Landung hatte ich ein Taxi in die Stadt genommen und erst mal bei Dave vorbeigeschaut, um meine Vorräte aufzufrischen. Im Treppenhaus stieg ich über ein paar schwarze Kids hinweg und musste dann oben eine ganze Weile gegen den Lärm anklingeln, der gedämpft durch die Wohnungstür drang. Dave öffnete in einem bodenlangen Pelzmantel, mit Kosakenmütze auf dem Kopf und einem weißen Schal um den Hals. Ich stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Wow. Wie siehst du denn aus, Alter?«
»Die dämliche Heizung ist im Arsch. Dieser Penner von einem Vermieter!« Ich folgte ihm Richtung Küche. Aus seinem Schlafzimmer, in dem einige Gestalten herumhockten, dröhnte in ohrenbetäubender Lautstärke Musik – na gut, etwas Musikähnliches, irgendein durchgeknallter, metallisch klingender Krach. Offensichtlich war ich in die letzten Ausläufer einer Party geplatzt, die schon vor geraumer Zeit ihren Anfang genommen hatte. Dave versuchte mir etwas mitzuteilen.
»Was?«, ich hielt die Hand an mein Ohr, um es vor dem Lärm abzuschirmen.
» WILLST DU EIN BIER? «
»O ja, danke.« Irgendwo hämmerte ein Nachbar gegen eine Wand oder Decke.
»Was hast du so
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