Music from Big Pink: Roman (German Edition)
er seine Zeitung las und sein Bier trank.
»Na, Alter«, sagte ich, »wie läuft’s denn?« Richard wirkte überrascht, als ich plötzlich aus der Menge heraustrat. Wir umarmten uns herzlich, wodurch wir weitere Blicke auf uns zogen. Richard nahm seine Sonnenbrille ab. Er sah müde aus. »Wie kommt ihr mit der Platte voran?«, fragte ich.
»Läuft super, Mann. Willst du mit raufkommen und was hören?«
Ich war noch nie zuvor in einem Aufnahmestudio gewesen. Trotzdem verspürte ich so gar kein Bedürfnis, mich mit Robertson, Grossman und Konsorten in eine winzige schalldichte Kabine zu quetschen und mich anstarren zu lassen. »Ach, ich weiß nicht. Vielleicht …«
»Hey, alles ist cool. Im Augenblick sind nur John, Garth und ich da oben.«
Die A&R Studios waren nur einen Block entfernt. Wir fuhren in einem alten Lastenaufzug nach oben, einem von denen, die nach Öl und heißer Hydraulik rochen, mit quietschenden Metallgittertüren. Von irgendwo über uns hallte so etwas wie Kirmesmusik den staubigen Aufzugschacht herunter. Ich drückte Richard ein Papierbriefchen mit rund dreißig dieser rosafarbenen Amphetaminpillen, auf die er so abfuhr, in die Hand. »Spitze«, sagte er und zog ein großes Bündel zerknitterter Scheine aus seiner Hosentasche, und während er versuchte, mit dem Geld, dem Speed und seinem Bier auf einmal zu jonglieren, flogen die Zehner und Zwanziger durch den ganzen Aufzug. »Was schulde ich dir?«
»Lass gut sein. Ich hätte nur gern eure Platte, wenn sie fertig ist, okay?«
»Ach Scheiße, Greg, die kriegst du doch sowieso. Danke …« Ich bückte mich, sammelte die sechzig Dollar wieder auf, die er verloren hatte – die Kirmesmusik wurde immer lauter, kam immer näher –, und stopfte ihm die Scheine in die Hemdtasche.
»Hier in der Stadt solltest du echt vorsichtig sein, mit all der Knete.« In Richards Gegenwart ertappte man sich häufig dabei, sich aufzuführen, als wäre man seine Mutter. Selbst ich war nicht davor gefeit.
»Ach, komm schon, ist doch nur Geld.«
Ruckelnd kam der Aufzug zum Stehen, und wir traten hinaus in einen riesigen, düsteren Raum. Er hatte die Ausmaße einer gewaltigen Scheune, und hoch über uns unter der Decke summten flackernde Neonröhren. Die Musik war jetzt ohrenbetäubend laut. Am anderen Ende des Studios kauerte Garth hinter seiner Orgel und produzierte diese unfassbaren Klänge, die wie ein Mahlstrom durch den gewaltigen, leeren Raum brausten. Garths Kopf schaukelte vor und zurück, er hatte die Augen geschlossen und war völlig verloren in dem, was er da gerade schuf. Es hörte sich an, als würden fünf Mann jeweils diverse Instrumente traktieren.
In der Mitte des Raums war Levons Gretsch-Schlagzeug aufgebaut, umgeben von Stellwänden, wohl um den Sound teilweise zu isolieren. Die Becken glitzerten, und von Garths Lärmattacke sanft zum Schwingen gebracht, zischelten sie leise. Vor dem Drumkit standen ein paar aufeinandergestapelte Fender-Verstärker – gegen einen davon lehnte Robbies Telecaster. Ich folgte Richard in eine Ecke, in der ein riesiger Flügel stand – begraben unter all den Zigarettenschachteln, Aschenbechern, Dosen, Flaschen, Noten- und Textblättern. Richard setzte sich auf den Klavierhocker, spülte zwei der Pillen, die ich ihm gegeben hatte, mit schwarzem Kaffee runter und verzog angewidert das Gesicht. Garth hörte plötzlich auf zu spielen – die schlagartig eintretende Stille war absolut –, watschelte, eine kleine Melodie vor sich hin summend, barfuß zu zwei großen Lautsprecherboxen hinüber und winkte uns dabei zu. »Du siehst müde aus«, sagte ich zu Richard.
»Mmm-mmm, wir haben fast immer bis in die Morgenstunden gearbeitet. Ich …«, er schien den Faden zu verlieren, starrte hinauf in die Neonbeleuchtung, deren weiße Röhren sich in seinen Pupillen widerspiegelten, »… schon komisch. Ich vermisse Jane, weißt du das?« Ich hatte Jane, Richards Exfreundin, seine große Liebe, nie getroffen, aber er sprach manchmal von ihr, wenn er einsam und betrunken war. Rick hatte mir erzählt, sie sei der Oberhammer. Als die Jungs sie vor ein paar Jahren in Toronto kennengelernt hatten, war sie angeblich ein schwedisches Teenie-Model gewesen. Sie und Richard waren erst ein paar Monate zusammen, als Bob Dylan in das Leben der Hawks einschlug, sie rund um die Welt schleppte und alles auf den Kopf stellte. Aber schon damals war wohl unübersehbar, dass Richard sich unsterblich in Jane verliebt hatte.
»Ja? Trifft sie sich
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