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Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Music from Big Pink: Roman (German Edition)

Titel: Music from Big Pink: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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denn im Moment mit jemandem?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Sie war mit irgend so einem Typen verlobt, hat aber mit ihm Schluss gemacht.«
    »Warum rufst du sie nicht einfach mal an?«
    »Wir telefonieren hin und wieder, aber ich weiß ja nicht, bei alldem, was gerade so ansteht …«, er deutete auf die Verstärker, die Boxen, die überall herumliegenden Kabel, »… und wenn die Platte draußen ist, werden wir vermutlich wieder auf Tour gehen. Da bleibt nicht gerade viel Zeit fürs Privatleben. Ich weiß nicht, ob das gut gehen würde. Verstehst du? Ob unsere Beziehung das aushalten würde?«
    »Es gibt wohl nur einen Weg, das rauszufinden.«
    »Wahrscheinlich …« Er klimperte ein paar Töne auf dem Flügel und starrte quer durch den Raum. Ich habe nie so richtig verstanden, wie ein Typ wie Richard – ein gut aussehender, angesagter Musiker mit Plattenvertrag, der gerade ein Album aufnimmt – so einsam sein konnte. »Hey«, sagte er, »lass uns rübergehen und etwas Musik hören.«
    Wir durchschritten zwei dicke Türen und kamen in einen winzigen Raum voller Pegel, Anzeigen, Schalter und Knöpfe. Am Mischpult saß ein kleiner Kerl, ungefähr in unserem Alter, und sah uns freundlich an. Ich erkannte ihn wieder, hatte ihn eines Abends im Deanie’s gesehen. »Hi, John«, begrüßte ihn Richard und klopfte ihm auf die Schulter. »Das ist Greg, ein guter Freund von uns aus Woodstock.«
    »Schön, dich kennenzulernen, Greg«, sagte John ausgesprochen höflich und reichte mir die Hand.
    »Hallo.« Ich schüttelte sie, und wir nahmen hinter ihm in zwei Sesseln Platz. Aus den Lautsprechern in der Wand vor uns dröhnten laut und sehr klar ein paar Orgeltöne, dann ertönte Garths verhallte Stimme: »Ist das jetzt besser, John?«
    »Sehr viel besser. Danke, Garth. Okay, komm nach hinten, wir hören mal rein.« Er drückte auf einen Knopf, schob an ein paar Reglern, und der winzige Raum wurde von Garths Orgel erfüllt, gerade als dieser durch die Tür trat. Ich stand auf und bot ihm meinen Platz an, aber er grinste nur und bedeutete mir, mich wieder zu setzen. Er senkte den Kopf und lauschte mit geschlossenen Augen, als John die Lautstärke hochregelte. So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört: Es klang, als würden der Sound einer Kirmes, eines Klassikkonzerts, eines Horrorfilm-Soundtracks und eines Wirbelsturms auf einmal aus der PA eines Rockkonzerts donnern. Es dauerte vielleicht eine halbe Minute, steigerte sich immer weiter, wurde immer komplexer und wahnsinniger, während Garth ständig Noten, Texturen, Modulationen und Geräusche hinzufügte. Ich drehte mich um und blickte zum Schöpfer dieses Wunders auf, der lächelnd neben mir stand, lauschte und sich mit einem kleinen Schraubenzieher gegen die Schneidezähne klopfte. Mit seinem wuchernden Bart, der hohen Stirn und dem Tweedjackett sah er aus wie eine Kreuzung aus General Grant und einem Archäologieprofessor an einer Elite-Universität. Schließlich, als das Orgelcrescendo sich einfach nicht mehr weiter steigern konnte, stiegen das Schlagzeug und eine kräftige Riff-Gitarre ein, und alles vereinigte sich zu einem allmächtigen Groove.
    »Heilige Scheiße!«, rief ich, außerstande, cool zu bleiben. »Wie hast du das gemacht, Mann?«
    Garth grinste. »Nun, ich hatte ein wenig Hilfe von Johann Sebastian.« Auf nackten Sohlen latschte er zurück ins Studio.
    »John Sebastian – der John Sebastian von Lovin’ Spoonful?«, fragte ich einigermaßen verwirrt.
    » Johann Sebastian«, sagte John. »Bach. Das Riff der Anfangssequenz basiert quasi auf Bachs Toccata und Fuge in d-Moll. Aber dann zieht Garth sein eigenes Ding ab …«
    »Diese Rock ’n’ Roll-Kids, die wissen doch gar nichts, John«, lachte Richard. Und als John die Musik weiter hochregelte und der Gesang einsetzte, senkte auch ich den Kopf, schloss die Augen und ließ mich treiben.
    * * *
    Richtig los ging die Welle der Neuankömmlinge in diesem Frühling, dem Frühling ’68.
    Anfang April hatte der lange Winter in den Bergen Woodstock endlich aus seinem eisernen Griff entlassen – überall Triebe, Knospen, Blätter, aufgerissene Fenster –, und aus den Städten kamen sie in ihren Camaros, Pintos und VW-Käfern herauf, den Kofferraum vollgestopft mit ihrem Bettzeug, ihren Gitarren, Plattensammlungen und Topfpflanzen. Quer durchs Land pilgerten sie in ihren Bullies und Kombis hierher. Wenn man über die Tinker Street ging, sah man überall Nummernschilder aus

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