Muss ich denn schon wieder verreisen?
leergegessenen Tellern und versuchten uns den Stall vorzustellen, der ja gar keiner gewesen war, sondern eine Grotte.
»Amen«, sagte Elena und klappte das Buch zu.
»Jetzt hat sie’s uns aber gegeben!« meinte Irene, den Koffer zum Bus schleppend. »Also unterlaß heute alle despektierlichen Bemerkungen.«
Wieso ich? Du hast doch den Fußabdruck…«
»Stimmt, aber der ist einfach zuviel gewesen!«
Bis auf Claudia waren wir wieder komplett. Hanni, inzwischen genesen, behauptete zwar, noch immer Gummibeine zu haben, doch längere Fußmärsche waren heute ohnedies nicht vorgesehen. Anneliese bot sogar einen Platztausch an. Ganz vorne, gleich hinter dem Fahrer, seien die Erschütterungen des Busses am wenigsten zu spüren. Die Patientin lehnte dankend ab, sie wolle lieber hinten sitzen, wo sie sich zwischendurch auch mal hinlegen könne.
Ich rätselte noch, ob das nur ein Vorwand war, um unsere abgeschottete Zweisamkeit besser beobachten zu können, als sie mir zuflüsterte: »Uns geht das dumme Gequassel da vorne schon lange auf den Geist. Wir hatten bloß noch keinen plausiblen Grund gefunden, die Plätze zu wechseln. Es stört Sie doch hoffentlich nicht?«
Doch, wir fühlten uns gestört, aber nur so lange, bis wir Gustl sagen hörten: »Ich möchte zu gern wissen, weshalb die beiden Schwestern überhaupt verreisen. Tapetenwechsel? Die wechseln doch bloß ihre Meinungen und Vorurteile.«
Wüste. Gleich hinter Jerusalem fängt sie an und zieht sich runter bis nach Ägypten. In Israel heißt sie Negev, in Ägypten Sinai. Der Sand ist derselbe.
Nach Bethlehem ist es nicht weit. Frau Marquardt schaffte es kaum, dem mehr oder weniger aufmerksam lauschenden Publikum die obligatorischen Daten zu vermitteln. Danach hatte Kaiser Augustus bereits 7 v. Chr. die Volkszählung angeordnet. Tatsächlich? Selbst wenn man berücksichtigt, daß sich die Kommunikationsmöglichkeiten vor zweitausend Jahren auf reitende Boten beschränkt hatten und die mit der Gesamtorganisation befaßten Beamten vielleicht schon damals nicht so besonders schnell gewesen waren, drängt sich einem doch die Frage auf, wieso Maria und Joseph offenbar mehrere Jahre gebraucht haben, um von Nazareth nach Bethlehem zu reisen. Aber das waren schon wieder ketzerische Überlegungen, und Irene verbot mir strikt, sie laut zu äußern.
Frau Marquardt war inzwischen bei Kaiser Konstantin angekommen, der dreihundert Jahre später an der Geburtsstätte eine Basilika bauen ließ und damit den Fremdenverkehr ins Leben rief. Damals hieß er noch Pilgerzug. Dann kamen – wie üblich – die Kreuzfahrer und nach ihnen die Türken. Im 18. Jahrhundert begann auch hier, genau wie bei der Grabeskirche in Jerusalem, der Streit zwischen den einzelnen Konfessionen um den Besitz der Geburtskirche. Sie zanken sich bis heute.
Bevor wir im Kielwasser anderer Touristenbusse in die Stadt hineinfuhren, hielten wir bei der Engelskapelle. Sie beschirmt eine Höhle, in der damals die Hirten Unterschlupf gesucht hatten, wenn das Wetter mal nicht so schön gewesen war wie heute. Dort soll ihnen auch der Engel erschienen sein.
Nun ist es nicht ganz leicht, sich weite Felder mit Schaf- oder Ziegenherden vorzustellen, wenn man zwischen lauter Wohnhäusern steht; auch Bethlehem hat inzwischen seine Grüne-Witwen-Ghettos. Zum Glück hatten wir schon etliche Kilometer Wüste hinter uns, denn wenn man sich die grün denkt statt braun und mit ein paar hundert Vierbeinern bevölkert, kann man die damaligen Gegebenheiten doch ein bißchen realisieren.
Bethlehem ist eine Großstadt, die überwiegend vom Fremdenverkehr lebt und trotzdem nicht genug Parkplätze hat. Erst auf dem dritten fand Shimon eine Lücke, und das auch nur, weil gerade ein anderer Bus mit Ordensfrauen abfuhr.
Der Weg zur Geburtskirche ist ganz leicht zu finden, man muß nur den Souvenirgeschäften folgen. Immer wieder zog der Huber-Sepp seine Frau mit sanfter Gewalt von den Auslagen weg. Warum nur hatte sie für den Herrn Pfarrer schon in Jerusalem das kleine Kruzifix gekauft, wo es doch hier viel schönere gab. Und erst die herrlichen Madonnen!
Von ganz groß in Gips bis zu ganz klein als Medaillon um den Hals zu hängen. Oder vielleicht wäre das Bild von derGeburtskirche noch schöner gewesen, echt Öl mit Goldrahmen. »Dös nehme mir trotzdem mit, gell, Joseph? Dös kimmt dahoam an die Wand vom Herrgottswinkel.«
Joseph genehmigte den Ankauf des Kunstwerks, wollte aber bis zum Rückweg damit warten.
Die
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