Muss ich denn schon wieder verreisen?
Geburtskirche betritt man durch das Tor der Demut, das heißt, man muß je nach Körpergröße nur den Kopf einziehen oder taschenmesserartig zusammenklappen. Die größten Schwierigkeiten hatte Gregor mit seinem Gardemaß von einsachtundneunzig. Zuerst bewunderten wir die wirklich sehr beeindruckenden Säulen der Basilika und die herrlichen Bodenmosaike. Als vor etlichen Jahren in der Nähe des Kölner Doms ein Mosaik ausgegraben wurde, überschlugen sich die Medien vor Begeisterung; wer nicht allzuweit entfernt wohnte, fuhr hin und bestaunte die ersten freigelegten Steinchen. Heute kann man das Kunstwerk nur von einer meterhohen Empore aus betrachten. In Israel darf man zwar auch nicht darüberlaufen, doch man steht immer direkt davor. Zugegeben, die Israelis haben mehr Mosaikböden zum Vorzeigen als wir; vielleicht sind sie deshalb nicht so pingelig.
Das rote Licht an Heinis Kamera erlosch, immer ein Zeichen dafür, daß wir weitergehen konnten, treppab zu den Grotten. Eine davon ist die des Sophronius Eusebius Hieronymus, jenes Kirchenvaters, der im 4. Jahrhundert vom damaligen Papst den Auftrag erhalten hatte, die lateinische Bibel neu zu bearbeiten. Da er als einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit gegolten und vor seinem Tod lange in Bethlehem gelebt hatte, wurde ihm sein letzter Wunsch erfüllt, nämlich da begraben zu werden, wo Jesus geboren sein soll. Dort ruhte er auch, bis die Kreuzfahrer kamen. Die waren ganz anderer Meinung gewesen, hatten seine Gebeine wieder ausgegraben und nach Rom gebracht. Jetzt liegt Hieronymus in Santa Maria Maggiore, wo er bestimmt nicht hingewollt hatte. Von ewiger Ruhe kann auch keine Rede mehr sein, die Kirche steht nämlich zwischen zwei äußerst belebten Straßen.
Die Geburtsgrotte fanden wir auch noch. Ein silberner Stern kennzeichnet die Stelle, wo Jesus geboren sein soll. Es ist schon bemerkenswert, daß man noch nach Hunderten von Jahren – er wurde erst 1717 angebracht – genau den Platz wußte, wo… Nein, nicht schon wieder! Irene zuckte nur leicht mit den Schultern, als ich sie fragend ansah. Sie hatte wohl auch ihre gewissen Zweifel. Die Fragwürdigkeit der zentimetergenauen Ortsangaben erörterten wir erst später und kamen zu dem Schluß, daß man schon sehr gläubig sein muß, um alles als Wahrheit hinzunehmen.
Es mußte aber schon andere Skeptiker gegeben haben, denn 1847 wurde der Stern von den Griechen entfernt. Damit waren nun wieder die Türken nicht einverstanden gewesen, doch erst auf Druck ihrer Regierung kam der Stern an seinen alten Platz zurück.
Daß der silberne Zankapfel einer der Gründe für den späteren Krimkrieg gewesen sein soll, halte ich schlichtweg für ein Gerücht. Völkerschlacht wegen einer zwei Quadratmeter großen Bodenplatte?
Den Souvenirjägern billigte Frau Marquardt zwanzig Minuten zu. Wer weder an Arafat-Tüchern noch an einem Holzhäuschen mit Krippe, Ochs und Eselein interessiert sei, könne ja schon langsam zum Parkplatz gehen. Sie selbst werde mit den anderen in Kürze da sein.
Auf dem Weg dorthin kam uns ein reichlich genervter Shimon entgegen. »Do bleibst!« rief die Huber-Maria sofort. »I muß mei Tascherl ham, do is mei Geld drin fürs Bildle, was i no kaufe will.«
»Die Tasche bekommen Sie, sobald ich meinen Bus gefunden habe.«
»Wie? Ist der geklaut worden?« fragte Gregor erstaunt.
»Bestimmt nicht«, kam es kleinlaut zurück. »Ich finde bloß den Parkplatz nicht mehr. Sonst halte ich immer auf einem anderen.«
»Bis dahin ist es zu spät zum Einkaufe«, jammerte Maria.
Irene nahm die Sache in die Hand. »Was kostet denn das Bild?«
Das wußte die Maria nicht mehr so genau, aber arg teuer sei es nicht gewesen.
»Hat jemand genug Geld dabei? Wenn nicht, müssen wir zusammenlegen.«
Herr Terjung konnte mit vierzig Schekel aufwarten und notfalls drei Kreditkarten, Gregor hatte auch noch zwei Scheine in der Tasche. Mit dem, was Irene und ich fanden, kam genügend zusammen, um den Ankauf auch eines etwas größeren Ölgemäldes zu ermöglichen. Maria bedankte sich überschwenglich und wird uns wohl in ihr Abendgebet eingeschlossen haben.
Wir anderen machten uns auf die Suche nach dem Bus, von dem ich nur wußte, daß er blau war. »Steht da irgendwas drauf?«
Gar nichts, bedauerte Shimon, doch an der Windschutzscheibe hänge ein Wuscheltier. Das hatten wir bald gefunden. Leider baumelte es an einem weinroten Bus.
Jetzt übernahm Herr Terjung die Führung. »Ich weiß genau, daß wir zweimal
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