Muss ich denn schon wieder verreisen?
Frage erhofften wir uns später von Menachem, denn Suleikas Darbietung näherte sich dem Höhepunkt. Sie verfiel in epileptische Zuckungen, der Bauch vibrierte wie ein Lkw im Leerlauf, die Musik wurde immer schriller, und dann war auch schon alles vorbei. Suleika nahm den enthusiastischen Beifall entgegen, überhörte die Rufe nach einer Zugabe und – nein, jetzt schwebte sie nicht mehr, sie schlich vielmehr zur Tür hinaus.
Menachem wurde um Vermittlung gebeten. Man dürfe die Dame doch sicher zu einem Glas Wein einladen, in allen Ehren natürlich, und später werde man sie nach Hause begleiten wegen der möglichen Verfolger. Dieses Angebot kam von Robert.
Suleika ließ sich nicht lange bitten. Beinahe hätten wir sie nicht erkannt, als sie in Jeans und Sweatshirt, die Locken in einem Pferdeschwanz gebändigt, zurückkam. Im übrigen hieß sie Joanne, stammte aus Wisconsin, war angeblich Studentin, und Bauchtanz machte sie just for fun – einschließlich kostenlosem Abendessen und der zu erwartenden freiwilligen Spende, zu hinterlegen im Körbchen neben der Tür.
Als die nächste Batterie Flaschen auf dem Tisch abgeladen wurde und Alberto vergeblich versuchte, Heini die politischen Ziele der baskischen ETA zu erklären, während Elena für Betti die Zutaten einer echten spanischen Paella aufzählte, meinte Irene: »Ich glaube, jetzt sollten wir langsam verschwinden.«
»Langsam?«
Gregor bot sich als Begleitschutz an. »Das ist wirklich nicht nötig«, sagte ich höflich. »Bis zum Hotel sind es kaum fünfhundert Meter, die schaffen wir schon allein.«
»Ich will doch auch weg«, flüsterte er zurück. »Und so geht es am besten.«
»Na, dann los!«
Aber so einfach war das nicht. Betti hatte ihre Augen überall. »Sie wollen uns doch nicht etwa schon verlassen, jetzt, wo es so gemütlich ist?«
Ich war gerade im Begriff, etwas von »ein bißchen frisch machen« zu faseln, als Anneliese herablassend meinte: »Reisende soll man nicht aufhalten.«
»Verliebte schon gar nicht«, gluckste Waltraud, die auch schon mehr getankt hatte, als ihr guttat. »Na, dann schlaft mal schön, ihr beiden Hübschen«, rief sie uns noch kichernd hinterher.
»Dämliche Gans!« schimpfte ich vor der Tür, aber Gregor lachte nur. »Seid doch froh, daß sie nicht mit großen geistigen Gaben gesegnet ist, sonst wäre euer Spielchen schon längst aufgeflogen. Ich habe ja auch eine Weile gebraucht, bis ich dahintergekommen bin.«
Ich markierte die Ahnungslose. »Welches Spiel?«
»Hat Frau Marquardt etwa was verraten?« Irene weiß immer gleich, wenn sie verloren hat.
»Kein Wort«, beteuerte Gregor, »nur macht ihr das manchmal ein bißchen zu auffällig. Echte Lesben benehmen sich anders.«
»Woher wollen Sie das denn wissen?«
»Weil ich selbst schwul bin!«
12
»Wenn wir morgen sowieso noch mal hier übernachten, weshalb lassen wir das Gepäck nicht einfach da?« Ich stand vor dem geöffneten Koffer und versuchte die unbegreiflicherweise auf das Doppelte ihres ursprünglichen Volumens aufgeblähte Garderobe hineinzustopfen. »Eine Tasche mit Nachthemd, Waschzeug und zwei T-Shirts sollte doch genügen.«
»Hast du eine Tasche? Siehste! Ich auch nicht und noch viel weniger saubere Klamotten.«
»Von sauber habe ich ja gar nichts gesagt.« Parallel zur abendlichen Schönheitspflege hatten wir zwar mal unsere hausfraulichen Tugenden aktiviert und ›kleine Wäsche‹ veranstaltet, doch weder mit Toilettenseife noch mit Shampoo hatten wir die porentiefe Reinheit erzielt, von der Frau Klementine immer so schwärmt. Eine saubere Bluse besaß ich noch, doch die brauchte ich für den Rückflug.
»Ist dir eigentlich klar, daß wir übermorgen schon wieder zu Hause sind?«
»Ja, leider«, sagte Irene, ihre Ableger bewässernd, denn die wollte sie dem Hotelportier in Obhut geben. »Aber hast du auch schon mal daran gedacht, daß heute in vier Wochen Heiligabend ist? Ich weiß nicht, warum, doch Weihnachten kommt immer so plötzlich!«
»Dann kannst du dich ja nachher in Bethlehem darauf einstimmen.«
So lange brauchte sie gar nicht zu warten. Schon bei der letzten Tasse Kaffee am Frühstückstisch zog Elena das Neue Testament aus der Tasche und las die Weihnachtsgeschichte vor, »damit auch diejenigen, denen manchmal das nötige Verständnis fehlt, daran erinnert werden, was sich in Bethlehem zugetragen hat«.
Das galt in erster Linie uns beiden. Also saßen wir mit ergebener Miene und artig gefalteten Händen vor den
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