Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
University of Miami hat kürzlich zwei Millionen Dollar vom amerikanischen Verteidigungsministerium erhalten, um den Effekt eines meditativen Trainings auf Mitglieder der US-Marine zu untersuchen. Ergebnis: Soldaten, die täglich meditierten, stärkten die Leistungskraft ihres Arbeitsgedächtnisses, verbesserten ihre Aufmerksamkeit und fühlten sich geistig ausgeglichener. 40 Ein meditatives Training könne also die Anfälligkeit für »psychologische Störungen wie posttraumatischen Stress und Angststörungen reduzieren«, schreibt Jha in der Fachzeitschrift Emotion , darüber hinaus könnte es den Soldaten auch »größere kognitive Ressourcen verschaffen, um ethisch und effektiv in einem moralisch zwielichtigen und emotional herausfordernden Umfeld« zu agieren. 41
Doch so beeindruckend solche Ergebnisse auch sein mögen – über das wahre Wesen der Meditation sagen sie herzlich wenig. Schon gar nicht können sie erklären, warum manche Praktiken mit einem speziellen Glücksgefühl einhergehen und warum dies eher in der Abwesenheit bestimmter Gedanken zu bestehen scheint als in deren Fülle.
So sprechen Meditationslehrer wie etwa der Bremer Zen-Meister Michael Sabaß davon, dass man in der Meditation seinen Gedanken nicht wie gewöhnlich folge, sondern dass man beim stillen Sitzen eher »wie ein Zuschauer im Kino« beobachte, wie das eigene Gehirn »mehr oder minder wirre Wort- oder Satzfetzen, Bilder und Videoclips auf die Leinwand projiziert«. Bei ihm wachse dabei allmählich der Eindruck, »dass ich alles das eigentlich gar nicht brauche«. Dafür mache er immer mehr die Erfahrung des reinen »Da-Seins«. »Wie ein großer flacher Stein, der immer tiefer ins Meer sinkt«, sagt der 66-jährige, erreiche er einen »Grundzustand des Geistes«, der aus »Stille und reinem Gewahrsein« bestehe 42 . Und dieses simple Erleben der Gegenwart sei mit einem tiefen Glücksgefühl verbunden. »Man ist so hoch konzentriert, dass alles andere, was mich sonst im Leben bewegt oder mir Sorgen macht, weg ist«, sagt Sabaß. »Das ist so, als hätte ich bisher in einer Schwarzweißfotografie gelebt, und ganz plötzlich ist die Welt dreidimensional und bunt. Wer das zum ersten Mal erlebt, den reißt es vom Hocker.«
Von solch bunten Erlebnissen erzählt die Forschung natürlich nichts. Ob es den Meditierenden vom Hocker reißt oder nicht, lässt sich nun einmal nicht an Hirnscans oder EEG-Kurven ablesen, sondern nur im Selbstversuch überprüfen. Die mutigsten unter den Meditationsforschern haben daher begonnen, diesen speziellen Geisteszustand selbst zu erkunden, auch wenn sie sich damit dem Risiko aussetzen, in der Zunft milde belächelt zu werden.
So auch der Neurobiologe Wolf Singer, der als Direktor des Frankfurter Max-Planck-Instituts für Hirnforschung kaum befürchten muss, als unseriöser Esoteriker abgestempelt zu werden. Als er wieder einmal eine Phase hatte, in der er »beruflich enorm belastet war und viel zu viel am Hals hatte«, gab er einer lange gehegten Neugier nach und meldete sich zu einer zehntägigen Meditationsperiode an. Singer wollte selbst erleben, was im Kopf passiert, wenn man das übliche rationale Denken außer Kraft setzt. 43
Im Nachhinein muss er ein wenig über sich selbst lächeln: Er habe ja keine Ahnung gehabt, worauf er sich da einließ, gesteht Singer. Die zehn Tage Zen-Meditation seien »ein hartes Regime« gewesen. Schon die äußeren Bedingungen bei dieser Art von Meditation waren für ihn ungewohnt: »Man sitzt sehr gerade, kann also nicht einschlafen und ist in einer völlig reizarmen Umgebung; man bewegt sich nicht, achtet nur auf seinen Atem, zählt oder beschäftigt sich mit den visuellen Phänomenen, die dabei entstehen«. Im japanischen Zen-Buddhismus nennt sich diese Art der Übung Shikantaza , zu Deutsch: einfach nur SITZEN. Worum es dabei geht, bringt der aus Vietnam stammende Zen-Meister Thich Nath Hanh so auf den Punkt: »Statt zu sagen: ›Sitz nicht einfach nur da, tu irgend etwas‹, sollten wir das Gegenteil fordern: ›Tu nicht irgend etwas, sitz nur da‹.«
Die simple Übung muss bei Singer einiges bewirkt haben. »Eindrucksvoll« seien die zehn Tage gewesen, berichtet der Forscher; er sei deutlich verändert zurückgekommen. »Ich hatte es hier am Institut niemand erzählt. Aber Mitarbeiter haben mich später, bei der Weihnachtsfeier, gefragt, wo ich denn im Sommer gewesen wäre. Ich sei so anders gewesen, so ruhig.« Dass er sich durch die meditative Auszeit
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