Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
letztlich auch die Leistungskraft.
Selbstverständlich kann man gegen eine solche Betrachtung einwenden, dass man damit Zeiten des Müßiggangs prompt auch wieder einem Nützlichkeitsimperativ unterwerfe und sie zum bloßen Mittel erniedrige, die Schaffenskraft wiederherzustellen; dabei geht es doch in der Muße um viel mehr als nur Wellness und Fitness. Dieser altertümliche Begriff erinnert uns vielmehr daran, dass unser Leben seinen Wert in sich selbst trägt, jenseits aller Nützlichkeitserwägungen und jeder Verwertungslogik. Doch bevor wir diesen Gedanken im fünften Kaptiel vertiefen, hilft es, sich und anderen zunächst einmal klarzumachen, dass das Nichtstun selbst dann wert- und sinnvoll ist, wenn man es ausschließlich nach den Maßstäben der modernen Leistungsgesellschaft beurteilt.
4. Das Glück der Meditation
D ie Wissenschaftsredaktion der ZEIT ist naturgemäß ein Biotop der Rationalität. Hier regiert die Vernunft und was sich nicht hieb- und stichfest beweisen lässt, wird als suspekt angesehen. Das gilt selbstverständlich auch für alles, was nach Esoterik und Spiritualität riecht. Die herrschende Meinung zum Thema Meditation brachte einer meiner Kollegen mit einem wunderbar ironischen Aufkleber an seiner Bürotür zum Ausdruck. Gehe in Dich. Ich komme gleich nach.
Leider hat er es bislang bei dieser Ankündigung belassen. Bis jetzt ist es mir jedenfalls noch nicht gelungen, ihn zu einem gemeinsamen Meditationswochenende zu überreden. Dennoch verstehen wir beide uns seit Jahren bestens. Er reagiert auf meine Ausflüge in die Stille stets mit einem ebenso vielsagenden Lächeln wie ich auf seine Schwärmereien von stundenlanger Pilzsuche im Wald; und gemeinsam schütteln wir den Kopf über unseren Schweizer Kollegen, der sein inneres Gleichgewicht mit Vorliebe auf 36-Stunden-Wanderungen und ultraharten Bergaufmarathons sucht.
In letzter Zeit hat sich allerdings etwas verändert. Wenn in der Redaktion von Meditation die Rede ist, gehen die Augenbrauen nicht mehr ganz so hoch, schimmert manchmal gar so etwas wie Interesse in manchen Pupillen. Das liegt nicht nur daran, dass auch Wissenschaftsredakteure unter zunehmendem Arbeitsdruck leiden und sich nach Ruhe sehnen, sondern ebenso daran, dass Meditation in den vergangenen Jahren zu einem Gegenstand ernsthafter wissenschaftlicher Forschung geworden ist. Sogar die amerikanische Armee fördert mittlerweile Studien, die den Effekt meditativer Praktiken auf die Konzentrationsfähigkeit und die Stimmung ihrer Soldaten untersuchen. Damit wirken diese scheinbar so esoterischen Methoden selbst in den Augen meiner nüchternen Kollegen gar nicht mehr so abgedreht und weltfremd wie einst.
Dabei ist die Forschung dem Thema Meditation nach allen Regeln der Kunst zu Leibe gerückt; man ließ Mönche im Kernspintomografen meditieren, vermaß Hirnströme, Reaktionszeiten und Stresshormone und versuchte, das meditative (Nichts-)Tun in Daten, Zahlen und Fakten zu fassen. Und obwohl die Ergebnisse dieser Studien zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen 37 , beweisen sie doch in der Summe eines: Meditieren ist mehr als nur Rumsitzen und Nichtstun.
Der amerikanische Hirnforscher Richard Davidson etwa hat das Hirn tibetischer Mönche durchleuchtet, während sie sich in der Meditation auf einen Zustand »liebenden Mitgefühls« konzentrierten. Dabei erschienen jene Hirnregionen stark durchblutet, in denen emotionale Erfahrungen wie Liebe, Mitgefühl und Glück verarbeitet werden. 38 »Diese Ergebnisse«, kommentiert der Dalai Lama, »lassen vermuten, dass wir einen Zustand des Glücks durch ein auf das Gehirn einwirkendes Geistestraining bewusst kultivieren können.«
Die Hirnforscherin Sara Lazar aus Boston hat Hinweise gefunden, dass regelmäßiges Meditieren sogar die neuronale Verschaltung im Gehirn beeinflusst. Am Massachusetts General Hospital in Boston untersuchte sie Menschen, die seit mehreren Jahren 40 Minuten am Tag meditieren. Ergebnis: Deren Hirnrinde war um bis zu 5 Prozent stärker als jene von gewöhnlichen Probanden. Die Forscherin wies dabei vor allem in den für Aufmerksamkeit und Sinnesverarbeitung zuständigen Hirnarealen größere Blutgefäße und mehr neuronale Verbindungen nach. 39 Weil der Effekt bei den älteren Versuchspersonen am deutlichsten ausgeprägt war, schließt Lazar, »dass eine regelmäßige Meditationspraxis die normale, altersbedingte Ausdünnung des Cortex reduzieren könnte.«
Und die Psychologin Amishi Jha von der
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