Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Titel: Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schnabel
Vom Netzwerk:
Zutun« zu vollbringen? Das Problem ist nur: Sobald man sich auf eine meditative Übung einlässt, stellt man fest, dass das Loslassen alles andere als einfach ist. Im Gegenteil, sobald die äußeren Störungen wegfallen, beginnt die innere gedankliche Aktivität ins Kraut zu schießen. Statt sich auf den gegenwärtigen Atemzug oder Pinselstrich zu konzentrieren, denkt man plötzlich an die Steuererklärung, ans gestrige Fussballspiel oder ans nächste Essen. Von innerer Ruhe ist da, zumindest anfangs, meist keine Spur. »Die erste große Entdeckung bewusster Meditation ist nicht etwa eine grenzüberschreitende Einsicht in die Natur des Geistes, sondern die peinsame Realisierung, wie wenig der Mensch normalerweise mit seiner tatsächlichen Erfahrung verbunden ist«, schreiben dazu die Meditationsforscher Eleanor Rosch und Francisco Varela. 46
    Es kostet durchaus geistige Anstrengung, die stets ins Bewusstsein drängenden, störenden Gedanken zwar zur Kenntnis zu nehmen, sich von ihnen aber nicht mitreißen zu lassen. Denn normalerweise lösen schon kleinste Sinneseindrücke ganze Gedankenketten im Gehirn aus.
    In der Meditation dagegen übt man, diesem Reiz-ReaktionsSchema nicht automatisch zu folgen, also nicht jedem Gefühl und jedem zufälligen Einfall nachzugehen. k Für den Münchner Kognitionspsychologen Ernst Pöppel kommt dies sogar geradezu einer Befreiung aus dem Stand der Sklaverei gleich. Denn der Mensch sei, wie jedes Lebewesen, darauf programmiert, ständig seine Antennen neu auszurichten, ständig Informationen zu verarbeiten, um den Bezug zur Realität sicherzustellen. »Mein Gehirn ist der Situation ausgeliefert, fortwährend Informationen aufnehmen zu müssen und diese abzuwägen im Hinblick auf das, was gut für mich ist und was nicht so gut für mich ist«, sagt Pöppel. Und diesem evolutionären Erbe könne man kaum entkommen. »Ich bin in meiner Informationsverarbeitung versklavt durch das, was innen und außen geschieht.« 47
    Wer will, kann also meditative Praktiken als Durchbrechen der Informationssklaverei beschreiben. Man kann sie aber auch pragmatisch als eine Art Training des Arbeitsgedächtnisses – und damit der Fähigkeit zur Selbstkontrolle – ansehen. Dabei geht es in der Meditation nicht darum, immer mehr Gegenstände gleichzeitig im Bewusstsein zu halten, sondern letztlich nur einen einzigen, den aber über lange Zeit. Denn auch das verbessert, wie Amishi Jha nachgewiesen hat, die Leistungsfähigkeit unserer wichtigsten neuronalen Schaltzentrale. Und wer es versucht, stellt schnell fest, wie sehr ihn das simple Nicht-Denken an seine Grenzen führt.
    Wer sich aber von den Anfangsschwierigkeiten nicht abschrecken lässt, kann die Erfahrung machen, dass sich im Laufe der Zeit wirklich eine gewisse Ruhe im Kopf einstellt. Schenkt man den störenden Gedanken nämlich keine Beachtung, laufen sie gleichsam ins Leere und erschöpfen sich von selbst. Deshalb definierte der japanische Zen-Meister Taisen Deshimaru die meditative Wirkung auf den Geist auch gern so: »Es ist, als lasse man schlammiges Wasser in einem Glas einfach stehen. Allmählich sinkt das Sediment zu Boden und das Wasser wird klar.« 48
    Auch Wolf Singer hat während seines Ausflugs ins Zen-Kloster solche Momente der Klarheit erfahren. »In der Meditation kommt das Gehirn mehr zur Ruhe, Erregungsprozesse pendeln sich ein. Das merkt man auch daran, dass man bei einer solchen Übungsperiode weniger schlafen muss, denn der Schlaf dient ja ebenfalls dazu, ein solches inneres Gleichgewicht herzustellen.« Auch wenn der Neurobiologe dabei nicht von Erleuchtung redet, wird klar, dass er eine ganze Menge über sich selbst erfahren hat: »Man erlebt, was passiert, wenn mal nichts an einem zieht, wenn einen nichts zwingt zu reagieren, sondern wenn sich einfach entfalten kann, was in diesem System alles steckt.« Und was steckt im »System Singer«? Bei ihm habe sich in der Meditation ein ganz besonderes Gefühl des In-der-Welt-seins eingestellt, sucht es der Hirnforscher zu beschreiben, ein Gefühl, das mehr mit der Person zu tun habe, »die man ist , als mit der, die man erlebt, wenn man ständig von Tagesereignissen getrieben wird«.
    Einfach gesagt: Der Mann ist sich selbst begegnet – und hat offenbar einen ganz sympathischen Menschen kennengelernt. Ähnlich drücken es viele Anhänger der Meditation aus. Das Geheimnis dieser »Geistespraxis« besteht eben nicht im Erleben wundersam-mystischer Zustände, sondern eher in der

Weitere Kostenlose Bücher