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Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Titel: Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schnabel
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Bedeutung des Lebens selbst näherkommen.
    Eine moderne Philosophin wie die in Berlin lebende Denkerin Natalie Knapp drückt das heute so aus: »In der Muße geht es darum, an einen Ort zu gelangen, an dem das Dasein spürbar wird.« Wichtig sei es, mit sich selbst in Kontakt zu kommen – unabhängig davon, zu welchen Ergebnissen das führe. Denn der wichtigste Aspekt der Muße (wie des Lebens) sei die Offenheit – die Offenheit für neue Erfahrungen ebenso wie für die Erkundung der Dinge »um ihrer selbst willen«. v
    Diese Offenheit geht uns im täglichen Alltagsbetrieb leider allzu oft verloren. Wir »leben dann nur noch die Schablone ab«, wie Knapp sagt. Und dabei verlieren wir nach und nach den Sinn für den Wert des Lebens und dessen Einmaligkeit. Mitunter braucht es dann erst eine Ausnahmeerfahrung – etwa mitzuerleben, wie ein Kind geboren wird -, um wieder Geschmack am Wunder des Lebens zu bekommen.
    Weil allerdings dieser »Geschmack« des Lebens für jeden Menschen unterschiedlich ist, könne es auch »keine Gebrauchsanweisung für die Muße« geben, sagt Knapp. Deshalb sollten wir mehr auf unsere eigene Denkfähigkeit vertrauen und uns nicht vorschreiben lassen, wie ein gelungenes Leben auszusehen hat. 20
    Ergo: Man kann zwar die äußeren Bedingungen beschreiben, die einen Zustand der Muße fördern; wie dieser dann aber erlebt wird, wie man ihn ausfüllt und wozu er uns inspiriert, hängt von jedem selbst ab. Bei einem Komponisten mag die Freiheit von äußeren Zwängen zum Komponieren führen, bei einem Luther zur Bibelübersetzung – bei anderen vielleicht eher zur Lust, Sport zu treiben, mit den eigenen Kindern zu spielen, Natur zu genießen oder auch einfach nur zu schlafen. Entscheidend ist nicht, was wir tun, sondern dass wir an den Punkt kommen, an dem wir unsere echten Bedürfnisse wieder spüren und wahrnehmen, wodurch das Leben für uns Bedeutung gewinnt.
    Zu einer ähnlichen Einsicht gelangt auch der Psychologe Robert Levine am Ende seiner Zeitforschungsreise. Man müsse auf seinen eigenen »Trommelschlag« hören und sich von den Ansprüchen und Erwartungen seiner Umwelt nicht allzu sehr beeinflussen lassen, formuliert er als Quintessenz. Klar wird ihm das, als er nach seiner langen Auszeit wieder seine Lehrtätigkeit in den USA aufnimmt. Schon nach kurzer Zeit spürt der Professor, »als sei ein Kippschalter betätigt worden«, wie er in die frühere Hetze gerät. Da nimmt er sich vor, sich künftig immer zwei Fragen zu stellen: Muss ich das unbedingt tun? Und: Möchte ich das tun?
    Bald merkt Levine, dass die Antwort auf die Frage nach dem Muss meistens »Nein« lautet und dass seine Mitmenschen überraschend schmerzlos ohne ihn zurechtkommen. Zugleich staunt er darüber, welche Dinge er tatsächlich von sich aus tun möchte. Am Ende hat er das Gefühl, mehr Kontrolle über seine Zeit zu haben als jemals zuvor. »Ich weiß jetzt, dass meine Zeit wirklich meine Zeit ist.« 21

4. Muße und Flow
     
    Z u den in Kapitel eins formulierten Voraussetzungen der Muße – erstens die Herrschaft über die eigene Zeit, zweitens die Fähigkeit, sich nicht ständig ablenken zu lassen – kommt also noch etwas Drittes: Mußestunden lassen sich auch als Zeiten definieren, in denen wir etwas ausschließlich um seiner selbst willen tun. Was das bedeutet, macht uns jedes spielende Kind vor: Es ist so sehr in sein Treiben vertieft, dass es alle Zeit vergisst und sich niemals die Frage stellt, ob ihm das Spielen am Ende etwas »bringe«.
    Kinder gehören daher zu den natürlichen Gegnern der Beschleunigungsgesellschaft. Statt sich von der Uhr hetzen zu lassen, folgen sie ihren natürlichen Bedürfnissen und ihrem eigenen Takt. Gerade deshalb werden sie in der Erwachsenenwelt oft als so störend und irritierend empfunden: Sie widersetzen sich zäh jeder Art von Zeitdruck und erinnern uns daran, dass wir früher selbst einmal so waren (deshalb gelingt es in Michael Endes märchenhafter Parabel Momo auch ausgerechnet einem kleinen Mädchen, die »grauen Herren« zu überwinden und den Menschen ihre gestohlene Zeit zurückzubringen).
    Wie das in der Praxis aussehen kann, erlebte ein Bekannter von mir in Berlin: Sein dreijähriger Sohn war gerade auf der Straße damit beschäftigt, Seifenblasen zu produzieren, als ein Herr im Anzug des Weges kam. Da drückte der Steppke dem verdutzten Fremden seine Seifenblasendose in die Hand und animierte ihn, es doch selbst einmal zu versuchen – was dieser auch prompt

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