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Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Titel: Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schnabel
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tat. Als es nicht beim ersten Mal klappte, forderte ihn der Dreijährige ungerührt auf, es noch einmal zu versuchen. In diesem Moment klingelte das Handy des Geschäftsmannes, woraufhin der sinngemäß in sein Mobiltelefon sprach: Ja, er habe alle Listen fertiggestellt, nein, er habe jetzt keine Zeit, er müsse Seifenblasen machen.
    Nicht jeder von uns hat die Geistesgegenwart, solche zauberhaften Momente der Muße mitten in der Großstadt auch zu nutzen. Häufig verläuft die Begegnung zwischen Alt und Jung eher umgekehrt: Statt uns ein Beispiel an unseren Kindern zu nehmen, pressen wir häufig schon die Jüngsten in ein enges Raster aus Terminen und Verpflichtungen – Frühförderung, Englischunterricht, Reitstunde, Kinderyoga -, um sie fit für die spätere Karriere zu machen. Dabei sind Kinder von Haus aus kreativ genug, sich eigene Herausforderungen zu suchen und sich selbst zu beschäftigen. Wir sollten uns daher lieber öfter die Kinder zum Vorbild nehmen und uns auf ihr Tempo einlassen. Das kann ebenso fröhlich wie entspannend sein.
     
    Letztlich geht es um ein grundsätzliches Umdenken: Statt ständig zu fragen, was eine bestimmte Aktivität für unser Fortkommen, unser Bankkonto oder unser Ansehen bringt, können wir diese Logik genauso gut umdrehen und die Frage stellen, inwiefern uns die Karriere, das Konto oder das Ansehen hilft, unser Leben im Hier und Jetzt zu genießen. Diesen Gedanken bringt uns jedenfalls der ungarischstämmige Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi nahe, der den Begriff Flow geprägt hat. Mit dem Fließen bezeichnet er die glückhafte Erfahrung jenes Zustandes, in dem wir – wie Kinder – ganz in unserem Tun aufgehen, in dem wir eine Mühelosigkeit des Daseins erleben, die uns alles andere vergessen lässt, und in dem Zeit ihre Bedeutung verliert (dem Glücklichen schlägt bekanntlich keine Stunde). 22
    Im Deutschen wird Flow gern als Schaffens- oder Tätigkeitsrausch übersetzt, doch das Wort »Schaffen« ist missverständlich. Beim Flow geht es gerade nicht um die Arbeitswut des workaholics , der seinem Vertragsabschluss (der Prämie, dem Verkaufserfolg …) hinterher jagt, sondern vor allem um die Freude am Tun. »Das klassische Beispiel für Flow sind die Bergsteiger, die an der Wand ganz in ihrem Element sind und so konzentriert im Hier und Jetzt, dass sie Zeit und Raum und Steuererklärung vergessen«, erklärt der Mediziner und Kabarettist Eckart von Hirschhausen. 23 Weitere Beispiele für Flow kennen wir alle: gemeinsames Musizieren, leidenschaftliches Gärtnern, Spielen, Tanzen, eine Liebesnacht, ein intensives Gespräch, Lachen, das uns die Tränen in die Augen treibt …

     
    Bild 13
    Auch ein Beispiel für Flow : Pandabären beim entspannten Bambuskauen
    Je häufiger es uns gelingt, solche Sternstunden zu erleben, umso höher ist unsere Lebensqualität. Jedes andere Ziel – Gesundheit, Reichtum oder Erfolg – erstreben wir ja nur, weil wir hoffen , dass es uns glücklicher machen wird. Aber ein Sechser im Lotto führt ebenso wenig automatisch zum Glück wie das Erreichen der obersten Sprosse der Karriereleiter. Was dagegen oberflächlich betrachtet wie der flüchtigste und subjektivste Zustand erscheine, sei in Wirklichkeit der greifbarste und objektivste, sagt Csikszentmihalyi: »Der Mensch ist glücklicher, wenn er flow erlebt.« Und dieses Glück lasse sich nicht durch Geld oder materiellen Besitz erringen, sondern durch die Kontrolle des subjektiven Erlebens. 24
    So einfach dieser Gedanke ist, so tiefgreifende Folgen hat er: Beurteilen wir nämlich unser Leben wirklich nach dem Kriterium, wie häufig und intensiv wir Flow erleben, ergibt das eine völlig andere Werteskala als jene, die sich an der Höhe unseres Gehalts, dem Prestige unseres Berufs oder der Größe unseres Autos orientiert. Dann kann es zum Beispiel geschehen, dass wir eine Beförderung lieber ablehnen, weil wir in unserer jetzigen Tätigkeit öfter Flow erfahren als in einer (besser bezahlten) Administratorenfunktion; oder wir reduzieren unsere Arbeitszeit und verzichten auf einen Teil unseres Gehalts, weil uns die Erlebnisse in der Freizeit wichtiger sind als die Spareinlagen auf unserem Konto; oder wir hören überhaupt auf, zwischen Arbeit und Freizeit zu trennen (wie die auf Seite 46 beschriebenen Südtiroler Bergbauern), weil wir unser Tun sowohl vor als auch nach Feierabend genießen können.
    Die Bedingungen für Flow sind übrigens eben jene, die auch die Basis für gelungene

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