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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raidy
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unter die Arme griffen. Ich stieß ihn weg. »Lass das Geschirr stehen«, sagte er. »Ich werde es wegstellen. Du gehst besser runter und ziehst dir ein anderes T-Shirt an.« Ich sagte kein Wort, als ich ihm den Rücken kehrte. Ich sah auf die Uhr. Ich hatte fast anderthalb Stunden gebraucht, um meine Arbeit zu erledigen. Ich umklammerte mit der rechten Hand das Geländer, als ich mich langsam in die Garage hinunterschleppte.
    Bei jedem Schritt, den ich tat, sah ich Blut durch mein T-Shirt sickern.
    Mutter wartete am Fuß der Treppe auf mich. Als sie mir das Hemd auszog, fiel mir auf, dass sie so behutsam vorging, wie sie konnte, aber das war auch alles. Es war für sie einfach eine Angelegenheit, die es zu erledigen galt. Ich hatte sie früher dabei beobachtet, wie sie mit Tieren fürsorglicher umging als mit mir.
    Ich war so schwach, dass ich ihr in die Arme fiel, als sie mir ein altes, übergroßes T-Shirt anzog. Ich dachte, sie würde mich schlagen, aber sie ließ mich ein paar Sekunden lang an ihrer Brust ruhen. Dann setzte sie mich am Fuß der Treppe ab und ging. Ein paar Minuten später kam sie mit einem Glas Wasser wieder. Ich schüttete es, so schnell ich konnte, hinunter. Als ich das Glas ausgetrunken hatte, verkündete Mutter, dass sie mir nicht gleich etwas zu essen geben könne. Sie wür-de mir in ein paar Stunden etwas geben, wenn es mir besser ginge. Ihre Stimme war monoton - bar aller Emotionen.
    55

    Ich warf einen verstohlenen Blick nach draußen und sah, dass das kalifornische Zwielicht langsam in die Dämmerung überging. Mutter sagte, ich könne mit den anderen Jungen in der Garageneinfahrt spielen.
    Mir schwirrte der Kopf. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich verstand, was sie gesagt hatte. »Geh schon, David, geh«, drängte sie. Mit Mutters Hilfe wankte ich aus der Garage. Meine Brüder musterten mich kurz, aber sie waren viel interessierter an ihren Wunderkerzen, die sie zum 4.
    Juli, dem Nationalfeiertag, anzünden durften. Die Minuten verstrichen und Mutter wurde fürsorglicher. Sie hielt mich an den Schultern, während wir zuschauten, wie meine Brüder Achten mit ihren Wunderkerzen beschrieben. »Möchtest du auch eine?«, fragte sie. Ich nickte. Sie hielt meine Hand, als sie sich zu mir hinunterbeugte, um die Wunderkerze anzuzünden. Einen Augenblick lang meinte ich, das Parfüm, das Mutter Jahre zuvor benutzt hatte, zu riechen. Doch sie hatte sich schon seit langem nicht mehr parfümiert oder geschminkt.
    Als ich mit meinen Brüdern spielte, konnte ich nicht umhin, über Mutter und ihr verändertes Verhalten mir gegenüber nachzudenken.
    »Versucht sie, es wieder gutzumachen?«, fragte ich mich. »Muss ich mein Leben jetzt endlich nicht mehr in der Garage fristen? Werde ich wieder in die Familie aufgenommen? Ein paar Minuten lang war es mir egal. Meine Brüder schienen meine Gegenwart zu akzeptieren, und ich verspürte eine Freundschaft und Wärme zwischen uns, die ich für immer verloren geglaubt hatte.
    Binnen einiger Sekunden verglimmten bei meiner Wunderkerze die letzten Funken. Ich blickte in die untergehende Sonne. Ich hatte schon eine Ewigkeit keinen Sonnenuntergang mehr gesehen. Ich schloss die Augen und versuchte, so viel Wärme aufzusaugen, wie ich konnte.
    Einen flüchtigen Moment lang gab es meine Schmerzen, meinen Hunger und mein erbärmliches Leben nicht mehr. Ich fühlte mich so geborgen, so lebendig. Ich öffnete die Augen und hoffte, diesen Moment für alle Ewigkeit festhalten zu können.
    Bevor sie ins Bett ging, gab Mutter mir noch etwas Wasser und ein paar kleine Happen zu essen. Ich kam mir wie ein verletztes Tier vor, das gesund gepflegt wird, aber es war mir egal.
    Unten in der Garage legte ich mich auf mein altes Feldbett. Ich versuchte, nicht an die Schmerzen zu denken, aber es war unmöglich, sie zu ignorieren, weil sie sich in meinem ganzen Körper ausbreiteten.
    Letzten Endes siegte die Erschöpfung und ich driftete in einen unruhi-56

    gen Schlaf. In dieser Nacht hatte ich mehrere Albträume. Als ich wieder einmal schweißgebadet aufwachte, hörte ich hinter mir ein Ge-räusch, das mich ängstigte. Es war Mutter. Sie beugte sich hinunter und legte mir einen kalten Waschlappen auf die Stirn. Sie sagte, ich hätte Fieber bekommen. Ich war zu erschöpft und zu müde, um zu antworten.
    Alles, woran ich denken konnte, waren die Schmerzen. In dieser Nacht blieb Mutter im Kinderzimmer im Erdgeschoss, das näher an der Garage lag. Ich fühlte mich sicher in dem

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