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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raidy
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leckte ihn ab. »Du frisst wie ein Schwein!«, blaffte Mutter. Ich senkte den Kopf, so als würde mir ihr Geschimpfe etwas ausmachen. Doch innerlich lachte ich und dachte: »Ach, leck mich doch! Meinetwegen kannst du sagen, was du willst! Ich hab das Essen gekriegt, und das ist es, was zählt!«
    Mutter hatte noch ein anderes Lieblingsspiel, das sie mit mir spielte, wenn Vater nicht da war. Sie befahl mir, das Badezimmer zu putzen und setzte ihr übliches Zeitlimit dafür fest. Dann stellte sie einen Eimer mit einer Mischung aus Salmiakgeist und Clorox in den Raum und schloss die Tür. Als Mutter es das erste Mal tat, verkündete sie, das sie in der Zeitung darüber gelesen hatte und es ausprobieren wollte. Ich tat zwar so, als sei ich verängstigt, aber in Wirklichkeit war ich es nicht.
    Ich wusste nicht, was mir bevorstand. Erst als Mutter die Tür schloss und mir verbot, sie zu öffnen, fing ich an, mir Sorgen zu machen. In dem schlecht belüfteten Raum veränderte sich die Luft schnell. In einer 63

    Ecke des Badezimmers fiel ich auf Hände und Knie und starrte den Eimer an. Gräuliche Nebelschwaden breiteten sich zur Decke aus. Als ich die Dämpfe einatmete, brach ich zusammen und spuckte. Meine Kehle fühlte sich so an, als würde sie in Flammen stehen. Binnen Minuten war sie ausgedörrt. Von den Dämpfen, die entwichen, als das Ammoniak mit dem Clorox reagierte, tränten mir die Augen. Ich war verzweifelt, weil ich befürchtete, Mutters Zeitlimit zum Putzen des Badezimmers nicht einhalten zu können.
    Nach ein paar weiteren Minuten dachte ich, dass ich mir die Seele aus dem Leib husten würde. Ich wusste, dass Mutter nicht nachgeben und ihr Spiel bis zum Äußersten treiben würde. Um es zu überleben, musste ich meinen Verstand gebrauchen. Ich legte mich auf den Boden und streckte mich der Länge nach aus. Mit dem Fuß schob ich den Eimer über die Fliesen zur Tür. Ich tat dies aus zwei Gründen: Erstens sollte der Eimer so weit weg von mir sein wie möglich, und zweitens sollte Mutter für den Fall, dass sie die Tür öffnete, eine Dosis ihrer eigenen Medizin abbekommen. Ich hockte mich auf der entgegenge-setzten Seite des Badezimmers hin und legte mir den Putzlappen übers Gesicht, nachdem ich ihn im Klo mit Wasser getränkt hatte. Aus Angst, dass Mutter es hören könnte, wagte ich es nicht, den Wasserhahn im Waschbecken aufzudrehen. Durch das Tuch atmend, beobachtete ich, wie die Dämpfe zu Boden sanken und unaufhaltsam immer näher kro-chen. Ich fühlte mich so, als sei ich in einer Gaskammer eingesperrt.
    Dann fiel mir der kleine Heizlüfter zu meinen Füßen ein. Ich wusste, dass er sich alle paar Minuten ein- und ausschaltet. Ich legte mich mit dem Gesicht neben den Lüfter und sog so viel Luft ein, wie meine Lunge aufnehmen konnte. Nach ungefähr einer halben Stunde öffnete Mutter die Tür und befahl mir, den Eimer im Ausguss in der Garage auszuleeren, damit ich ihr Haus nicht verpestete. Unten spuckte ich über eine Stunde lang Blut. Von all den Strafen, die Mutter sich für mich ausdachte, hasste ich das »Gaskammerspiel« am meisten.
    Gegen Ende des Sommers war Mutter es vermutlich Leid, Möglichkeiten dafür zu ersinnen, wie sie mich zu Hause quälen konnte. Eines Tages schickte sie mich zum Rasenmähen, nachdem ich all meine morgendlichen Pflichten hinter mich gebracht hatte. Ich kannte diese Arbeit schon. In den Osterferien hatte mich Mutter in diesem Jahr auch schon zum Rasenmähen losgeschickt. Sie hatte einen Mindestlohn festgesetzt, den ich nach Hause bringen und ihr abliefern musste. Es 64

    war mir unmöglich, diesen Mindestlohn zusammenzubekommen, so dass ich in meiner Verzweiflung einmal neun Dollar aus dem Sparsch-wein eines kleinen Mädchens stahl, das in unserer Nachbarschaft wohnte. Binnen Stunden stand der Vater des Mädchens vor unserer Tür.
    Natürlich gab Mutter ihm das Geld zurück und bezichtigte mich als den Schuldigen. Nachdem der Mann gegangen war, schlug sie mich grün und blau. Ich hatte das Geld jedoch nur gestohlen, um ihr den Mindestlohn, den sie verlangt hatte, abliefern zu können.
    Das Rasenmähen ging im Sommer um keinen Deut besser als in den Osterferien. Ich ging von Tür zu Tür und fragte die Leute, ob sie Inter-esse daran hätten, dass ich ihnen den Rasen mähe. Niemand hatte Inter-esse an meinen Diensten. Mit meinen zerrissenen Kleidern und dünnen Armen muss ich ein erbärmlicher Anblick gewesen sein. Aus Mitleid gab mir eine Frau eine braune Lunchtüte

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