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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raidy
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und schickte mich weg. Einen halben Block weiter ließ mich ein Ehepaar den Rasen mähen. Als ich fertig war, rannte ich mit der braunen Tüte in der Hand zu Mutters Haus zurück. Ich hatte vor, die Tüte zu verstecken, ehe ich in unsere Straße einbog, aber ich hatte keine Chance. Mutter patrouillierte mit dem Kombi durch die Straßen und erwischte mich mit der Tüte. Als sie mit quietschenden Reifen anhielt, hob ich die Hände, so als sei ich ein Verbrecher, den die Polizei gestellt hat. Ich erinnere mich daran, dass ich mir wünschte, das Glück nur ein einziges Mal auf meiner Seite zu haben.
    Mutter sprang aus dem Auto, packte die braune Tüte mit der einen Hand und boxte mich mit der anderen. Anschließend zerrte sie mich ins Auto und fuhr zu der Frau, die den Lunch für mich zubereitet hatte. Die Frau war nicht zu Hause. Mutter war davon überzeugt, dass ich in das Haus der Frau eingebrochen und mir selbst etwas zu essen gemacht hatte. Ich wusste, dass es das größte Verbrechen war, im Besitz von Essen zu sein. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich die Tüte nicht früher versteckt hatte.
    Zu Hause war ich nach den üblichen »zehn Runden« k. o. Anschließend befahl Mutter mir, mich in den Hinterhof zu setzen, während sie mit »ihren Söhnen« in den Zoo ging. Ich musste mich auf einen Fleck setzen, der mit Steinen von etwa zweieinhalb Zentimetern Durch-messer übersät war. Mir schliefen die Glieder ein, als ich in meiner
    »Kriegsgefangenenstellung« auf den Händen saß. Ich glaubte, dass Gott mich hassen musste. Welchen anderen Grund konnte es dafür geben, 65

    dass ich ein solches Leben fristen musste? Mein ganzer Kampf ums nackte Überleben schien sinnlos zu sein. Meine Versuche, Mutter immer einen Schritt voraus zu sein, waren vergebens. Es war, als sei mein ganzes Leben von einer schwarzen Wolke überschattet.
    Die Sonne schien auch nicht für mich scheinen zu wollen und hatte sich hinter einer dicken Wolkendecke versteckt. Mir fiel der Kopf auf die Brust, und ich zog mich in die Einsamkeit meiner Träume zurück.
    Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, aber irgendwann hörte ich, wie Mutters Kombi in die Garage fuhr. Ich fragte mich, was Mutter als Nächstes für mich in petto hatte, und betete, dass es nicht wieder das Gaskammerspiel sein würde. Sie brüllte von der Garage her, dass ich ins Haus kommen sollte, und führte mich zu meinem Entsetzen ins Badezimmer. Ich fühlte mich verloren. Ich begann, die frische Luft in vollen Zügen einzuatmen, wohl wissend, dass ich sie bald nötig haben würde.
    Doch überraschenderweise standen keine verdächtigen Eimer oder Flaschen im Badezimmer. »Hat sie mich etwa vom Haken gelassen?«, fragte ich mich. Irgendetwas war hier faul. Ich beobachtete Mutter verschüchtert, als sie den Kaltwasserhahn in der Badewanne voll auf-drehte. Ich fand es merkwürdig, dass sie vergaß, auch den Warmwas-serhahn aufzudrehen. Während sich die Badewanne mit kaltem Wasser füllte, riss Mutter mir die Kleider vom Leib und befahl mir, in die Wanne zu steigen. Ich kletterte hinein und legte mich hin. Eine kalte Angst lief mir den Rücken herunter. »Tiefer!« schrie Mutter. »Geh mit dem Gesicht ins Wasser!« Sie beugte sich hinunter, packte meinen Kopf und drückte ihn unter Wasser. In dem verzweifelten Versuch, den Kopf wieder aus dem Wasser zu bekommen, damit ich atmen konnte, schlug und trat ich instinktiv um mich. Doch ihr Griff war zu stark.
    Unter Wasser öffnete ich die Augen. Ich konnte Luftblasen aus meinem Mund kommen und zur Oberfläche aufsteigen sehen, als ich versuchte zu schreien. Ich bemühte mich, den Kopf seitwärts zu bewegen, während die Luftblasen immer kleiner und ich immer schwächer wurde. In einem verzweifelten Aufbäumen streckte ich die Arme aus und packte Mutter an den Schultern. Meine Finger müssen sich in ihr Fleisch eingegraben haben, denn sie ließ mich los. Sie sah schnaufend auf mich hinunter. »Los, jetzt halte den Kopf unter Wasser, sonst musst du das nächste Mal länger unten bleiben!« Ich tauchte mit dem Kopf so weit unter, dass meine Nase gerade noch herausschaute. Ich fühlte mich wie 66

    ein Alligator im Sumpf. Als Mutter das Badezimmer verließ, verstand ich, was für ein Spiel sie diesmal mit mir trieb. Ich lag der Länge nach in der Wanne und das kalte Wasser wurde mir zur Tortur. Es kam mir so vor, als läge ich in einem Kühlschrank. Ich hatte zu viel Angst vor Mutter, als dass ich mich getraut hätte, mich zu bewegen. Somit

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