Mustererkennung
Rickson ab, hängt beides über die Stuhllehne und setzt sich hin.
Taki setzt sich ebenfalls. Er hat eine geöffnete Bierflasche vor sich stehen. Er blinzelt stumm.
Nachdem sie den Plan auf die Papierserviette übertragen hatte, hat sie noch mal die betreffende Mail geöffnet und Parkaboys Taki-Beschreibung studiert: Taki, wie er lieber genannt werden will, behauptet, zum
Dunstkreis eines Otaku-Zirkels in Tokio zu gehören, einer
Gruppe, die sich intern »Mystic« nennt, obwohl sie öffentlich niemals unter diesem Namen (und auch sonst nicht) in Erscheinung tritt. Diese Mystic-Typen haben, laut Taki, das Wasserzeichen von #78 geknackt. Das Segment sei, so Taki, mit einer Zahl markiert, die er angeblich gesehen hat und kennt.
Was sie hier vor sich hat, ist, befindet sie, ein Extrembeispiel japanischer Geek-Kultur. Taki dürfte so ein Typ sein, der alles über ein bestimmtes sowjetisches Militärfahrzeug weiß und in seiner Wohnung lauter unausgepackte Plastik-Modelle lagert.
Er scheint tatsächlich durch den Mund zu atmen.
Sie winkt dem Barmann, zeigt auf ein Werbeposter für Asahi
Lite und nickt.
»Keiko hat mir viel von Ihnen erzählt«, versucht sie in die ihr zugedachte Rolle zu schlüpfen, aber das scheint ihn nur noch verlegener zu machen. »Aber sie hat mir, glaube ich, nicht gesagt, was Sie machen.«
Taki sagt nichts.
Parkaboys Zuversicht, daß Takis Englisch für diese Transak—tion ausreicht, könnte sich als unbegründet erweisen.
Und hier ist sie nun, am anderen Ende der Welt, um ein
Stückchen maßgeschneiderte Pornographie gegen eine Zahl
einzutauschen, die vielleicht gar nichts bedeutet.
Er sitzt da und atmet durch den Mund, und Cayce wäre so
gern woanders, egal wo.
Er ist schätzungsweise Mitte zwanzig und ein bißchen übergewichtig. Er hat einen undefinierbaren Kurzhaarschnitt, was sein Haar jedoch nicht daran hindert, in verschiedene Richtungen abzustehen. Billig wirkende schwarzrandige Brille. Sein blaues Button-Down-Hemd und das farblos karierte Sportsakko sehen aus wie gewaschen und nicht gebügelt.
Er ist, wie Parkaboy bereits angedeutet hat, nicht gerade der bestaussehende Typ, der ihr in jüngster Zeit über den Weg gelaufen ist. Aber das wäre genaugenommen Bigend. Sie zuckt zusammen.
»Ich machen?« Vielleicht eine Reaktion auf ihr Zusammenzucken.
»Ihr Job?«
Der Barmann stellt ihr das Bier hin.
»Spiel«, bringt Taki heraus. »Ich designe Spiel. Für Mobiltelefon.«
Sie lächelt, ermutigend, wie sie hofft, und trinkt von ihrem Asahi Lite. Ihre Schuldgefühle wachsen von Minute zu Minute.
Taki – seinen Nachnamen weiß sie nicht und wird sie womöglich auch nie erfahren – hat große dunkle Halbmonde von Angstschweiß unter den Achseln seines Button-Down-Hemds.
Seine Lippen sind rot und feucht, und vermutlich neigt er dazu, beim Sprechen ein bißchen zu spucken. Wenn die Qual, hier sein zu müssen, noch ein ganz klein wenig größer wäre, würde er sich wahrscheinlich einfach zusammenrollen und sterben.
Sie bereut, daß sie sich dieser ganzen Beauty-Brain- Prozedur unterzogen und sich diese Klamotten gekauft hat. Sie hat es zwar nicht für ihn getan, ist aber auch nicht auf die Idee gekommen, daß sie jemandem begegnen könnte, der in seinem Sozialverhalten so offensichtlich gestört ist. Wenn sie unscheinbarer aussähe, wäre er vielleicht nicht so verschreckt. Oder vielleicht doch.
»Sehr interessant«, lügt sie. »Keiko hat mir gesagt, Sie wissen eine Menge über Computer und so.«
Jetzt ist es an ihm, zusammenzuzucken, als hätte er eine Ohr-feige gekriegt, und er wirft den Rest seines Biers um. »So?
Keiko? Sagt?«
»Ja. Kennen Sie die Clips?«
»Web-Film.« Er sieht jetzt noch verzweifelter drein. Die
schwere Brille rutscht auf einer Gleitschicht aus Schweiß uner-bittlich seine Nase hinunter. Cayce widersteht dem Drang, hinzugreifen und sie wieder hochzuschieben.
»Sie … kennen Keiko?« Er zuckt wieder zusammen, als er die
Worte herausbringt.
Sie möchte am liebsten applaudieren. »Ja! Sie ist toll! Sie hat mich gebeten, Ihnen etwas zu geben.« Jetzt plötzlich spürt sie die London-Tokio-Seelenverspätung in vollem Ausmaß, weniger eine Welle als vielmehr die Implosion eines ganzen Universums. Sie sieht sich im Geist über den Tresen klettern, vorbei an dem Barmann mit dem pockennarbigen, seltsam konvexen Gesicht, und sich auf der anderen Seite hinter einem Sicht—schutz aus Flaschen zusammenrollen und in einen Zustand
absoluter Stasis
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