Mustererkennung
zittern. Doch dann zieht er es heraus, wirft einen Blick darauf, und sie sieht, wie seine Augen feucht werden.
Das hält sie nicht aus.
»Entschuldigen Sie bitte, Taki«, sagt sie und deutet, wie sie hofft, in Richtung Toilette. »Bin gleich wieder da.« Sie steht auf, läßt die Rickson und die Laptoptasche über der Stuhllehne hängen. Die Papierserviette hat sie immer noch in der Hand.
Per Zeichensprache weist ihr der Barmann den Weg einen
winzigen Flur hinunter, zu der uneinladendsten japanischen
Toilette, die sie seit langem gesehen hat. Eins dieser Loch-im-Zementboden-Dinger von früher. Es riecht nach Desinfekti-onsmittel und vermutlich Urin, aber wenigstens ist da eine Tür, die sie zwischen sich und Taki schließen kann.
Sie holt tief Luft, bereut es und betrachtet die Zahl auf der Papierserviette. Die Tinte verläuft immer mehr, womöglich werden die Ziffern bald schon unleserlich sein. Da sieht sie einen blauen Faserschreiber, den jemand auf einer Art elektri-schem Händetrockner hat liegen lassen. Als sie ihn wegnimmt, hinterläßt er einen chromglänzenden Abdruck in einer dicken Staubschicht. Sie probiert ihn auf der gelben, graffitifreien Wand aus: ein dünner blauer Strich.
Sie schreibt sich die Zahl in die linke Hand, legt den Kuli wieder auf den Händetrockner, knüllt die Papierserviette zusammen und wirft sie in das Loch in der Mitte des Bodens.
Dann beschließt sie, wo sie schon mal hier ist, zu pinkeln. Es ist nicht das erste Mal, daß sie eins dieser Dinger benutzt, aber von ihr aus kann es gern das letzte Mal sein.
Als sie an den Tisch zurückkehrt, ist Taki weg: nur noch zwei zerknitterte Geldscheine neben der leeren Bierflasche, ihr halbleeres Glas, der Aschenbecher und der zerrissene Briefumschlag. Sie guckt zu dem Barmann hinüber, der ihre Anwesenheit kaum zur Kenntnis zu nehmen scheint.
Auf dem roten Fernseher sausen insektoide Superhelden auf
stromlinienförmigen Motorrädern durch eine Zeichentrick—
Stadtlandschaft.
»Er hat ‘ne Ente ins Gesicht gekriegt«, sagt sie zu dem Barmann, schlüpft in ihre Rickson und hängt sich die Luggage-Label-Tasche um.
Der Barmann nickt verdrossen.
Auch draußen keine Spur von Taki. Nicht, daß sie etwas anderes erwartet hätte. Sie guckt nach rechts und links, überlegt, wo sie eher ein Taxi für die Rückfahrt zum Hyatt anhalten kann.
»Kennen Sie diese Bar?«
Sie blickt auf, sieht in ein glattes, sonnengebräuntes, offensichtlich europäisches Gesicht, das ihr irgendwie gar nicht gefällt. Sie nimmt den Rest in Augenschein. Ein Prada-Klon: schwarzes Leder und glänzendes Nylon, diese vorne rechteckigen Schuhe, die sie nicht ausstehen kann.
Hände packen sie von hinten, direkt über den Ellbogen, nageln ihr die Arme am Körper fest.
Irgendwas müsste jetzt passieren, denkt sie. Irgendwas –
Als sie nach New York gezogen waren, hatte ihr Vater darauf bestanden, daß sie bei einem kleinen, empfindsamen, etwas
rundlichen Schotten namens Bunny Selbstverteidigungstraining machte. Cayce hatte erklärt, New York sei nicht mehr so gefährlich, wie Win es in Erinnerung habe, was stimmte, aber es war leichter, sechsmal zu Bunny zu gehen, als gegen Win zu argu-mentieren.
Ihr Vater hatte gesagt, Bunny sei beim SAS gewesen, doch als sie Bunny darauf ansprach, sagte er, für den SAS sei er immer zu dick gewesen, in Wirklichkeit habe er als Sanitäter gearbeitet.
Bunny hatte eine Vorliebe für Strickjacken und Tattersall—
Hemden, war etwa so alt wie ihr Vater und versprach ihr zu
zeigen, wie »harte Kerle« in Kneipen kämpften. Sie hatte ernst genickt und sich gesagt, falls ihr mal einer von diesen berüchtig-ten Schlägertypen im Saloon dumm kommen sollte, würde sie sich wenigstens zur Wehr setzen können. Und so hatte sie, während sich ihre Freundinnen mit Thaiboxen befassten, gerade mal ein halbes Dutzend Tricks gelernt, wie sie bevorzugt in den Hochsicherheitstrakten britischer Gefängnisse angewandt wurden.
Bunnys Lieblingsausdruck dafür war »Wirkungstreffer landen«, was er immer mit einer gewissen Genugtuung sagte, wobei er die rötlichblonden Augenbrauen hob. Und tatsächlich war Cayce ihres Wissens in Manhattan nie auch nur ansatzwei-se in eine Situation geraten, die Bunnys Wirkungstrefferlan-dungsmethoden erforderlich gemacht hätte.
Während die Finger des Prada-Klons an dem Klettbandver—
schluß zwischen ihren Brüsten herumgrabbeln, um ihr die
Tasche zu entreißen, fällt ihr wieder ein, was jetzt nach der
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