Mustererkennung
verfallen, womöglich für Wochen.
Taki grabbelt in der Tasche seines Sportsakkos herum, fördert ein zerknautschtes Päckchen Casters zutage. Bietet ihr eine an.
»Nein, danke.«
»Keiko schickt?« Er steckt sich eine Caster zwischen die Lippen und läßt sie unangezündet dort baumeln.
»Ein Foto.« Sie ist froh, daß sie ihr Lächeln nicht sehen kann; es muß gespenstisch sein.
»Geben mir Keiko-Foto!« Die Caster, die er dafür aus dem
Mund genommen hat, wandert wieder zurück. Und zittert.
»Taki, Keiko sagt, Sie haben etwas entdeckt. Eine Zahl. Die in den Clips versteckt ist. Stimmt das?«
Seine Augen verengen sich. Kein ängstliches Zusammenzuk—
ken diesmal, sondern Mißtrauen, jedenfalls deutet sie es so. »Sie sind Clip-Lady?«
»Ja.«
»Keiko liebt Clips?«
Jetzt gilt es zu improvisieren, da sie nicht genau weiß, was ihm Parkaboy und Musashi erzählt haben.
»Keiko ist sehr nett. Sehr nett zu mir. Sie hilft mir gern bei meinem Hobby.«
»Sie sehr mögen Keiko?«
»Ja!« Nickend und lächelnd.
»Sie mögen … Anne-auf-Green-Gable?«
Cayce öffnet den Mund, aber es kommt nichts heraus.
»Meine Schwester mag Anne-auf-Green-Gable, aber Keiko
… kennt nicht Anne-auf-Green-Gable.« Die Caster ist jetzt
völlig reglos, und die Augen hinter den schuppengesprenkelten Brillengläsern scheinen zu kalkulieren. Haben Parkaboy und Musashi irgendwie Mist gebaut bei dem Versuch, eine glaub—hafte japanische Mädchen-Persona zu erschaffen? Wenn es
Keiko gäbe, müsste sie dann zwangsläufig Anne-auf-Green-Gable mögen? Und alles, was Cayce je über den Anne-auf-Green-Gable-Kult in Japan gewußt haben mag, hat sich soeben in ein Wölkchen Synapsennebel aufgelöst.
Da lächelt Taki erstmals und nimmt die Caster aus dem
Mund. »Keiko modernes Mädchen.« Er nickt, » Body - con! «
»Ja! Sehr! Sehr modern.« Body-con, das weiß sie, bedeutet body-conscious: japanisch für halbnackt.
Die Caster mit dem gelbbraunen, feucht glänzenden Pseudo—
Korkfilter wandert wieder zwischen seine Lippen. Er durchsucht seine Taschen, findet ein Hello-Kitty!-Feuerzeug und zündet sich die Zigarette an. Kein Plastik-Wegwerffeuerzeug, sondern ein verchromtes Zippo oder der Klon eines solchen.
Cayce ist, als wäre ihr das Feuerzeug von Kiddyland hierher gefolgt, als Spion des Hello-Kitty!-Group-Mind. Sie riecht
Benzin. Er steckt das Feuerzeug weg. »Zahl … sehr schwer.«
»Keiko hat gesagt, Sie müssen sehr klug gewesen sein, um
diese Zahl zu finden.«
Er nickt. Erfreut vielleicht. Raucht. Klopft Asche in einen Asahi-Aschenbecher. Hinter der Bar, am äußersten Rand ihres Gesichtsfelds, ist ein kleiner, billig wirkender Fernseher. Er ist aus transparentem Plastik und hat in etwa die Form eines Footballhelms. Auf dem Sechs-Zoll-Bildschirm sieht sie ein schreiendes menschliches Gesicht, das eine hauchdünne
Latexschicht zu durchstoßen versucht, dann einen kurzen Clip vom einstürzenden Südturm, dann vier grüne, kugelrunde Melonen, die über eine weiße Fläche kullern.
»Keiko hat gesagt, Sie würden mir die Nummer geben.«
Wieder das gezwungene Lächeln. »Keiko sagt, Sie sind sehr
nett.«
Takis Gesicht verdüstert sich. Sie hofft, daß es noch tiefere Verlegenheit ist oder aber etwas mit diesem Alkoholverarbei-tungsenzym zu tun hat, das den Japanern fehlt. Jedenfalls nicht Verärgerung. Plötzlich zieht er einen Palm aus der Innentasche des Sakkos und richtet den Infrarotschlitz auf sie.
Er will ihr die Nummer rüber beamen.
»Ich habe keinen«, erklärt sie.
Er runzelt die Stirn, zückt ein dickes, nach Retro-Füller aussehendes Schreibgerät. Darauf ist sie vorbereitet; sie schiebt ihm die Papierserviette mit ihrer Skizze des Stadtplanausschnitts hin. Er zieht die Augenbrauen zusammen, scrollt auf seinem Palm, schreibt dann etwas auf den Rand der zusammengefalte—ten Serviette.
Sie sieht zu, wie er drei Gruppen à vier Ziffern abschreibt, wobei die Tinte aus der Faserspitze des Schreibgeräts auf dem saugenden Papier verläuft. Verkehrt herum erkennt sie: 8304
6805 2235. Wie ein FedEx-Code.
Während er den Stift wieder verschließt, nimmt sie die Serviette an sich.
Sie greift rasch in die Luggage-Label-Tasche, deren Reißverschluß sie eigens für diesen Fall verstohlen geöffnet hat, und zieht den Umschlag mit dem Judy-Foto heraus . »Sie möchte, daß ich Ihnen das hier gebe«, erklärt sie.
Als er den Umschlag auffummelt, hat sie Angst, daß er das
Foto zerreißt. Seine Hände
Weitere Kostenlose Bücher