Mustererkennung
von Boone, der allerdings, wie Cayce nach und nach aufgeht, zwei wichtige Details wegläßt. Er erwähnt weder ihren Kopfstoß noch Takis jpeg. Er erzählt Bigend, daß sie in Tokio waren, um einem Hinweis nachzugehen, demzufolge mindestens ein Videosegment mit einem verschlüsselten Wasserzeichen markiert sei.
»Und ist es das?« fragt Bigend.
»Möglich«, sagt Boone. »Wir haben eine zwölfstellige Codenummer, die aus einem bestimmten Segment extrahiert worden sein könnte.«
»Und?«
»Cayce wurde in Tokio verfolgt.«
»Von wem?«
»Zwei Männern. Möglicherweise Italiener.«
»Möglicherweise?«
»Ich habe sie Italienisch sprechen hören.«
»Wer waren diese Männer?«
»Das wissen wir nicht.«
Cayce sieht Bigend die Lippen schürzen. »Haben Sie eine Ahnung«, fragt er sie und guckt sie dabei an, »warum man Sie verfolgen könnte? Irgendwelche anderweitigen Dinge? Etwas Unerledigtes, das mit dem hier nichts zu tun hat?«
»Wir hatten gehofft, Sie könnten uns da weiterhelfen, Hubertus«, sagt Boone.
»Sie meinen, ich lasse Cayce beobachten, Boone?«
»Ich würde es womöglich tun, Hubertus, wenn ich Sie wäre.«
»Das mag ja sein«, sagt Bigend, »aber Sie sind nicht ich. So arbeite ich nicht, nicht unter Partnern.« Sie sind jetzt auf der abendlichen Autobahn, und plötzlich schlagen Regentropfen an die senkrechte Windschutzscheibe. Cayce ist, als wäre ihnen das Wetter von Tokio hierher gefolgt. Bigend stellt die Scheibenwischer an, spatelförmige Dinger, die am oberen Rand der Windschutzscheibe sitzen statt am unteren. Sie sieht, wie er auf einen Knopf drückt, den Reifendruck minimal senkt. »Aber«, sagt er, »es dürfte Ihnen ja wohl klar sein, daß eine Partnerschaft mit mir natürlich das Risiko, verfolgt zu werden, erhöht. Das gehört nun mal zu den Schattenseiten eines hohen Bekanntheitsgrads.«
»Aber wer könnte denn wissen, daß wir Partner sind?« fragt Cayce.
»Blue Ant ist eine Werbeagentur, nicht die CIA. Die Leute reden nun mal. Selbst die, die eigens dafür angestellt sind, es nicht zu tun. Geheimhaltung kann von höchster Wichtigkeit sein, etwa bei der Planung einer Kampagne. Dennoch sickern Dinge durch. Ich werde dem nachgehen, genau klären, wer zu der Vermutung gelangt sein könnte, daß Sie beide für mich arbeiten, aber im Moment interessieren mich diese mutmaßlichen Italiener mehr.«
»Wir haben sie aus den Augen verloren«, sagt Boone. »Cayce hatte gerade die Codenummer von ihrem Kontaktmann bekommen, und es schien mir vordringlich, sie da wegzubringen.
Als ich später nach den beiden gesucht habe, waren sie verschwunden.«
»Und dieser Kontaktmann?«
»Jemand, den ich über das Cliphead-Netzwerk ausfindig gemacht habe«, sagt Cayce.
»Genau, was ich mir erhofft hatte.«
»Wir glauben nicht, daß bei ihm noch mehr zu holen ist«, sagt Boone, was Cayce veranlaßt, sich kurz umzudrehen, »aber wenn das mit diesem Wasserzeichen stimmt, könnte es ein guter Ansatzpunkt sein.«
Cayce guckt stur geradeaus, zwingt sich, sich auf die schwingenden Scheibenwischer zu konzentrieren. Boone lügt Bigend an oder enthält ihm zumindest Informationen vor, und das gibt ihr das Gefühl, es ebenfalls zu tun. Sie erwägt kurz, Dorotea und die Asiengirls aufs Tapet zu bringen, einfach nur, um das Ganze in eine Richtung zu lenken, auf die Boone nicht gefaßt ist, aber sie hat ja keine Ahnung, warum er lügt. Vielleicht tut er es mit gutem Grund. Sie muß das klären. Sobald sie das nächste Mal allein sind.
Plötzlich fahren sie jäh von der Autobahn ab und tauchen in das Labyrinth von London ein. Cayce blinzelt verblüfft. Stra-
ßenlaternen gehen an.
Nach Tokio scheint hier alles so anders dimensioniert. Wie eine Modelleisenbahn in einem anderen Maßstab. Obwohl sie auf Befragen zugeben müsste, daß die beiden Städte sich auf seltsame Weise ähneln. Wenn London bis zum Krieg vorwie—gend aus Holz und Papier bestanden hätte und wie Tokio abgebrannt und wieder aufgebaut worden wäre, dann hätte das Mysterium, das sie in diesen Straßen immer gespürt hat, vielleicht auch irgendwie in Stahl und Beton überdauert.
Daß die beiden sie wecken müssen, als der Hummer vor Damiens Haus hält, ist ihr furchtbar peinlich. Sie ist ganz verwirrt.
Boone trägt ihre Tasche zur Haustür. »Ich gehe mit rauf.«
»Nicht nötig«, sagt sie. »Ich bin müde. Ich komme schon zurecht.«
»Rufen Sie mich an.« Im Flugzeug, im Anflug auf Heathrow, hat er seine diversen Handy-Nummern auf
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