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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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zu finden, dank der Wegskizze, die sie von dem Attachment der letzten Mail auf ein Blatt Hotelbrief-papier übertragen hat, obwohl dieses Koffein in Wirklichkeit KOФEЙHЯ heißt.
    »Er hat ‘ne Ente ins Gesicht gekriegt bei zweihundertfünfzig Knoten«, flüstert sie, während sie dort vorbeigeht und erst mal die Lage sondiert.
    Das Etablissement sieht eher nach einer Bar mit hochlehnigen Sesseln als nach einem Café aus, findet sie, aber dann erinnert sie sich an gewisse Cafés in Seattle, damals, als sie mit Skaterklamotten angefangen hat. Mehr so in diese Richtung, bloß ohne die Sperrmüllsofas.
    Es ist voll.
    Schon wieder rast einer von diesen zivilen Polizeiwagen mit
    blitzendem Blaulicht vorbei, mindestens schon der fünfte, den sie sieht, alle blank, neu und teuer.
    Das Entenmantra scheint heute nachmittag nicht zu helfen.
    »Durch die Angst hindurchgehen«, sagt sie sich, das hatte
    Margot immer wieder gesagt, damals, als sie in dieser Gruppe für Co-Abhängige gewesen war. Aber auch das scheint nicht zu helfen.
    »Fuck it.« Eine noch ältere, vielleicht noch tiefgründigere Beschwörungsformel. Das hilft ihr endlich, sich umzudrehen und durch die Tür zu gehen.
    Ein gemütlicher Raum, knallvoll mit Leuten, viel glänzendes
    Kupfer und poliertes Holz.
    Wo anscheinend alle Tische besetzt sind, bis auf einen, der
    von zwei gewaltigen leeren Ohrensesseln flankiert ist, und da, unübersehbar, der Fisch: eine große, freistehende Skulptur, die Schuppen sind aus Ein-Pfund-Kaffeedosen Marke Medaglia d’Oro ausgeschnitten, genau wie die, die Wassilij Kandinsky benutzt hat, aber die Art, wie die Blechteile zusammengefügt sind, erinnert eher an Frank Gehry.
    Cayce geht zu schnell, um sich einen Eindruck von dem Publikum hier verschaffen zu können, merkt aber, daß einige Leute zu ihr hinschauen, als sie ohne Umwege auf einen der
    beiden Ohrensessel zusteuert und sich hineinsetzt.
    Sogleich erscheint ein Kellner. Jung und ziemlich hübsch,
    mit weißer Jacke und weißer Serviette überm Arm, aber offenbar nicht allzu erfreut, sie hier zu sehen. Brüsk sagt er irgendwas auf russisch, was dem Ton nach eindeutig keine Frage ist.
    »Tut mir leid«, sagt sie, »ich verstehe kein Russisch. Ich bin hier mit einem Freund verabredet. Bitte einen Kaffee.«
    Kaum daß sie den Mund aufgemacht hat, ändert er schlagar—
    tig sein Verhalten, und sie hat das Gefühl, daß er das nicht unbedingt aus Liebe zur englischen Sprache tut.
    »Natürlich. Americano?«
    Sie nimmt an, daß Italienisch die Lingua franca für die Kaf—feezubereitungsarten ist, seine Frage also nicht ihrer Nationalität gilt. »Bitte.«
    Als er weg ist, schaut sie sich die Gäste ringsum an. Wenn die Leute hier sichtbare Logos an ihrer Kleidung tragen würden, hätte sie ein Problem. Viel Prada, Gucci, aber mehr so neureiche Boheme, Factory Outlet, nicht wie in London oder New York. Eher LA, stellt sie fest, bis auf zwei Gruftimädels in schwarzem Brokat und einen Jungen in makellosem Rodeo-Drive-Edel-Grunge und mit einer Extraportion Wangenknochen.
    Doch die junge Frau, die jetzt vom Eingang herüberkommt,
    trägt nur glanzlose Sachen in den allerdunkelsten Grautönen.
    Blaß. Dunkle Augen. Das Haar in der Mitte gescheitelt, unmo—dern lang.
    Ihr weißes, eckiges und dennoch irgendwie weiches Gesicht
    läßt alles andere in den Hintergrund treten. Cayce merkt, wie ihr die Finger weh tun, so fest umklammert sie die Armlehnen ihres Sessels.
    »Sie sind die Frau, was hat Mail geschrieben, ja?« Nur leichter Akzent, tiefe Stimme, aber sehr klar, als spräche sie besonders deutlich, weil aus einiger Entfernung.
    Cayce will aufstehen, aber die Fremde bedeutet ihr mit einer Handbewegung, Platz zu behalten, und setzt sich in den anderen Sessel. »Stella Wolkowa.« Sie reicht Cayce die Hand.
    »Cayce Pollard.« Sie greift nach der Hand. Ist das die Filmemacherin? Heißt die Filmemacherin Stella? Ist Stella ein russischer Name?
    Stella Wolkowa drückt ihre Hand und läßt sie los. »Sie sind
    die erste.«
    »Die erste?« Cayce hat das Gefühl, daß ihr gleich die Augen
    aus dem Kopf fallen.
    Der Kellner kommt mit einem Zweierkännchen Kaffee und
    gießt die feinen weißen Porzellantassen voll.
    »Der Kaffee ist sehr gut hier. In meiner Kindheit nur die
    Nomenklatura hatte gute Kaffee, und der war nicht so gut wie dieser. Sie nehmen Zucker? Sahne?«
    Cayce kann ihren Händen nicht trauen, sie schüttelt den
    Kopf.
    »Ich auch. Schwarz.« Stella hebt ihre Tasse,

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