Mut Proben
ist es bei der Polizei. Kriminelle würden nicht gefasst, die Straßen würden nicht sicherer, hätten Polizisten nicht eine gewisse Freude am Risiko. Wenn die Männer und Frauen vom Sondereinsatzkommando neben der Angst, die ihnen sicher im Nacken sitzt, nicht auch einen gewissen Nervenkitzel spüren würden, hätten sie ihren Job längst aufgegeben. Sie sprechen selten davon, weil sie um ihren Ruf fürchten. Ein Polizeisprecher im Fernsehen will seriös wirken, weil genau das von ihm erwartet wird. Niemals würde er von der Lust seiner Leute im Geiselkommando erzählen.
Stattdessen betont er, wie vorsichtig alle seien, um kein Leben zu gefährden. Das ist einerseits richtig, andererseits nur die halbe Wahrheit. »Rambos können wir nicht gebrauchen«, ist ein beliebter Satz von Ausbildern bei Polizei und Armee. Doch sie meinen nur das Eigenbrötlerische eines Rambos– dessen Einsatzfreude begrüßen sie durchaus.
Stellvertretend für viele andere hat einmal eine junge Frau beim Spezialeinsatzkommando der Deutschen Marine einer Zeitung verraten, warum sie so gern gegen Piraten am Horn von Afrika kämpft. 37 Mit Speedbooten auf ein fremdes Schiff zurasen und es mit gezückter Waffe kontrollieren, sich vom Helikopter auf ein feindliches Schiff abseilen – das habe sie gereizt, sagt sie. Sie wolle Abenteuer und Adrenalin. »Ich konnte mir nicht vorstellen, im Büro oder im Kindergarten zu arbeiten und jeden Tag dasselbe zu machen. Ich wollte was erleben.« Eine ähnliche Einstellung braucht ein Elitepolizist. Sonst würde er mit seinen Kollegen vor der Wohnungstür, in der sie den Kopf eines Verbrechersyndikats vermuten, bibbernd verharren, statt sie mit Getöse und vollem Körpereinsatz zu rammen.
Sogar bei Musikern kann man diesen scheinbaren Widerspruch erkennen. Von einigen wenigen abgesehen, die sich nicht abgewöhnen können, Hotelzimmer zu zerlegen, pflegen Musiker nicht den Ruf von Draufgängern. Ihre Mission gilt nicht als gefährlich. Doch wären sie nicht bereit, eine Bühne zu besteigen und zu riskieren, öffentlich zu versagen, danebenzugreifen, Noten und Text zu vergessen, durch unkontrolliertes Lampenfieber einen Herzschlag zu erleiden – das Publikum erlebte nicht dieses Gefühl des Aufgehobenseins in der Musik. Heikel wird es vor allem, wenn improvisiert wird: Jazzmusiker sind die Freeclimber der gepflegten Tonkunst.
Till Brönner, der wohl erfolgreichste deutsche Trompeter, tummelt sich in allen Stilen – Klassik, Pop, House. »Jazz«, sagt er, »ist die freiheitlichste Musik überhaupt« 38 , ein bisschen »wie Fallschirmspringen«. Man müsse alle Handwerkszeuge zur Verfügung haben, wissen, wie man damit umgehe – dann könne man »entscheiden, wohin man fliegen will«. Und legt möglicherweise eine unangenehme Bauchlandung hin. Denn im Jazz werde die »eigene Verfassung absolut ungefiltert deutlich«, »mentale Störungen oder Blockaden« ließen sich nicht vertuschen. »Improvisation ist der direkte Spiegel deiner Seele.«
Friedrich Gulda, ein gefeierter Klassikpianist, 1950 eines der größten europäischen Talente, trat zu dieser Zeit, mit gerade mal zwanzig Jahren, in der New Yorker Carnegie Hall auf. Tosender Beifall, anschließend machte sich der Wiener auf ins Birdland, den besten Jazzklub der Stadt. Jazz entsprach seinem eigentlichen Naturell, die Klassik allein war ihm zu starr. In einem Radiointerview erzählt er: »1956, das weiß ich noch genau, da bin ich gestanden am Flughafen von Buenos Aires und hab – wie öfter, muss ich leider sagen – zwei Verpflichtungen gehabt. Die eine war ein Meisterkurs am Mozarteum in Salzburg und die andere ein Engagement im Birdland in New York. Was soll ich machen? Da waren zwei Flugzeuge und in welches steig ich ein? Gott sei Dank bin ich dann in die Maschine nach New York eingestiegen und habe die Salzburger hängen gelassen. Tollkühn bin ich einfach ins Birdland gegangen, obwohl ich mich immer noch als Anfänger fühlte. Es ist wurscht, man muss sich einmal trauen. Ich hab dort Jazz gespielt, obwohl ich genau wusste, gestern spielte der Charlie Parker und morgen spielt der Dizzy Gillespie, und gegen solche Giganten bin ich ein Niemand. Das war wirklich eine Mutprobe. Die habe ich bestanden, und darauf bin ich auch ziemlich stolz.« 39
Beim Jazz einigen sich Musiker auf eine Melodie und eine Abfolge von ein paar Harmonien. Damit spielen sie wie mit Bauklötzen, drehen sie um, verrücken sie, stapeln sie zu einem Turm, der jederzeit
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