Mutiert
musste sich auch hier eine Zugangstür befinden. Seine Suche wurde jäh unterbrochen, als sich die Nase der Maschine nach vorne neigte. Der Pilot hatte den Sinkflug eingeleitet. Gene hielt sich fest und steckte seine kleine Lampe zwischen die Zähne. Er blickte auf die Armbanduhr, ein teurer Seiko-Chronograph, den er einst von seiner Dienststelle für besondere Leistungen geschenkt bekommen hatte und der über eine Stoppuhrfunktion verfügte. Seit dem Start der Maschine waren gerade mal dreißig Minuten vergangen. Die Motoren klangen gleichmäßig, und Gene schätzte, dass sie nicht auf Vollgas liefen, doch bestimmt waren sie bereits über hundert Kilometer vom Flughafen entfernt. Nachdem sich die Maschine wieder ausgerichtet hatte, setzte Gene seinen Weg fort. Als er auf der gegenüberliegenden Seite angekommen war, erkannte er ein kleines Bullauge, das zwischen zwei hohen Kisten hervorlugte. Er hielt darauf zu und warf neugierig einen Blick hinaus. Dazu musste er sich gewaltig strecken. Draußen war es dunkel, dennoch erkannte er das Glitzern des Wassers unter dem Flugzeug. Kein Zweifel, die Maschine flog in geringer Höhe auf den Ozean hinaus. Er wandte sich um und tastete sich weiter voran. Langsam näherte er sich dem Ende des Frachtraums. Bevor er eine weitere, knapp zwei Meter hohe und ebenso breite Kiste umrundete, fielen ihm die Spalten im Boden auf. Er kniete sich nieder und fand die Scharniere einer Falltür. Er suchte nach dem Einstieg und ertastete den Griff. Sie war ungesichert und ließ sich mit leichtem Kraftaufwand öffnen. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er in den Tunnel, in dem seitlich ein gigantischer Kabelstrang verlief. Der Schacht war knapp einen Meter tief. Langsam ließ er sich hinabgleiten. Er schloss die Falltür wieder über sich, und das Dröhnen der Motoren wurde schlagartig gedämpft. Vorsichtig machte er es sich bequem, immer darauf bedacht, keines der Kabel zu berühren. Dieses Versteck war ideal, es war eine ganze Spur ruhiger und schön warm. Hier würde er warten, bis die Maschine wieder gelandet und entladen war.
Microbiological and Biomedical Laboratories, CDC , Atlanta, USA
» Professor Kim, bitte Apparat 31 , Professor Kim, bitte Apparat 31 «, drang es durch den Lautsprecher, der in der Kantine an der Decke montiert war.
Professor Joanna Kim trank hastig ihren Kaffee aus.
» Was ist denn nun schon wieder«, stöhnte sie.
» Du bist eben wichtig«, scherzte ihre Kollegin und biss in ihren Donat. Über sieben Stunden hatte sie am heutigen Tag im Labor zugebracht. Vor einer Stunde war es ihr gelungen, das Jatapu-Virus zu isolieren. Dann hatte sie eine Pause gebraucht und war in die Kantine gegangen, um einen Kaffee zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen, denn das Mittagessen war heute ausgefallen. Mit Hochdruck trieb sie die Forschungsarbeiten voran, und nachdem sich Professor Sander am gestrigen Tag gemeldet und seine Ergebnisse übermittelt hatte, war auch ihnen in der Nacht der Durchbruch gelungen. Die Zellkulturen waren herangezüchtet, und das Virus hatte sich entsprechend vermehrt. Nun musste es isoliert und für die Elektronenmikroskopie vorbereitet werden. Als Referenzlabor arbeiteten sie parallel mit dem mobilen Labor in Urucará an der Erforschung des neuen Virustyps. In all den Jahren der Virusforschung hatte sich diese parallele Arbeitsweise zweier oder mehrerer Labors bewährt, und da die Ergebnisse anschließend ausgetauscht wurden, war eine zeitnahe Verifizierung der Resultate gegeben. Doch seit dieser Nacht hatte Joanna mit ihren Mitarbeitern die Nase vorn. Die Zentrifuge lief pausenlos, und Joanna war guter Hoffnung, bald einen Blick hinter die Morphologie des Jatapu-Virus werfen zu können. Sobald die Struktur und der Aufbau des Virus bekannt waren, konnte es zweifelsfrei zugeordnet werden, und dann war die Reihe an den Biogenetikern, die die Bausteine entschlüsseln und einen genauen genetischen Bauplan erstellen würden. Damit waren die Grundlagen für die Entwicklung eines wirksamen Medikamentes geschaffen. Parallel wurde mit dem Serum von Schwester Violante gearbeitet. Sie hatte bislang als Einzige die Infektion überlebt und entsprechende Antikörper im Blut gebildet, die – zumindest in ihrem Fall – in der Lage gewesen waren, das Virus zu besiegen. Theoretisch klang das alles relativ einfach, doch es gab genügend Viren, die sich nicht an die geltenden Regeln hielten und den Forschern aufgrund sich verändernder Eigenschaften und
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