Mutiert
gehört es einfach dazu, dass wir Wege gehen, die ins Nichts führen, damit wir unseren Horizont erweitern. Doch erklären Sie das einmal dem Dekan einer Universität, der mit einer Ausgabenliste vor Ihrer Nase herumwedelt. Ich sah einfach keine Zukunft mehr, doch dann wurde mir die Stelle bei MedCom angeboten. Ich musste nicht lange überlegen, glauben Sie mir. Aber jetzt wollen wir erst einmal bestellen.«
Macombie winkte dem Ober zu, der in der Nähe wartete. Joanna bestellte einen Caesar’s Salad und dazu einen trockenen Weißwein, während der Professor Grab Cakes und einen würzigen kalifornischen Merlot bestellte.
» Ich hörte, Sie machen im Bereich der Krebsforschung gute Fortschritte«, eröffnete Joanna die weitere Unterhaltung, nachdem die Getränke serviert worden waren.
» Wir sind durchaus auf einem guten Weg«, bestätigte der Professor. » Sie erinnern sich noch an Altmann?«
» Rodger Altmann?«
» Ja, sicher, der gute alte Rodger«, bestätigte Macombie. » Er arbeitet noch immer für mich. Wir sind ein Team, so wie wir es schon damals in Chicago waren. Und wir kommen tatsächlich gut voran. Auch wenn uns die AEC ganz schön auf die Pelle rückt. Diese ethischen Grundsätze sind nichts weiter als Fesseln für uns Wissenschaftler. Sie hemmen den Fortschritt und wurden von Ignoranten und Besserwissern erfunden, die der Menschheit vorgaukeln, dass ihnen etwas an ihr liegt. Aber in Wirklichkeit verfolgen diese Holzköpfe nur eigene Interessen. Die Kirchen verkaufen uns Lügen, die Politik ist schamlos, und unsere Philosophen und Weltverbesserer schweben in ihren Sphären und schauen auf uns von oben herab. Aber was erzähle ich Ihnen, Joanna, Sie wissen selbst, wie schwierig es in der heutigen Zeit geworden ist, wenn man wirklich etwas erreichen will.«
Nachdem das Essen serviert worden war, plauderten sie über die alten Zeiten, über ihre damaligen Forschungsprojekte und über die ehemaligen Mitarbeiter und was aus ihnen geworden war. Beinahe zwei Stunden saßen sie zusammen und redeten über dies und das, über die Welt und über die Ziele, die man noch erreichen könnte, wenn man wirklich alle Freiheiten besäße. Joanna Kim spürte die Verbitterung, mit der Professor Macombie über seine letzten Jahre an der Uni sprach. Für einen kurzen Moment entschuldigte sich der Professor. » Ich bin ein alter Mann«, erklärte er, » da funktioniert nicht mehr alles so gut, vor allem, wenn ich trinke.«
Joanna nutzte die Zeit und holte einen Schminkspiegel und den Lippenstift aus ihrer Handtasche. Sie war froh darüber, dass die Kerze einen angenehmen Duft nach Vanille verbreitete, denn der Mann, der am Nebentisch saß, benutzte ein sehr aufdringliches Parfüm, das hin und wieder in Schwaden zu ihr herüberzog. Veilchen, tippte sie.
» Hier bin ich wieder«, sagte der Professor, als er zurück an ihren Tisch kam. » Nun haben wir aber eine Menge über mich geredet, ich denke, liebste Joanna, jetzt sind Sie dran.«
» Professor …«, antwortete sie zögerlich. » Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber es geht um den RNA -Strang des Jatapu-Virus’. Ich … mir wäre es sehr wichtig, wenn Sie selbst einen Blick darauf werfen.«
» Hier?«, scherzte der Professor feixend. » Haben Sie mir etwa das kleine Biest mitgebracht?«
Joanna griff in ihre Handtasche und holte eine CD hervor. » Ich trage ihn tatsächlich bei mir, allerdings in weitaus ungefährlicherer Form.«
Der Professor wollte nach der CD greifen. » Ich werde mich gleich morgen früh darum kümmern.«
» Ich wäre gerne anwesend, wenn Sie sich das Ding betrachten«, bat Joanna und steckte die CD wieder in ihre Tasche zurück.
» Selbstredend, Joanna. Das war seit langer Zeit wieder einmal ein gelungener Abend. Wie und wo erreiche ich Sie?«
» Ich wohne im Silver Saddle Hotel«, entgegnete Joanna Kim.
» Gut«, antwortete Professor Macombie und blickte auf seine Uhr. » Es ist nun Zeit für einen alten Mann, ins Bett zu gehen. Darf ich Sie in Ihr Hotel bringen?«
Joanna lehnte dankend ab. » Ich habe einen Wagen vor der Tür.«
» Schön, dann sehen wir uns morgen, sagen wir gegen zehn.«
I-Pharmacia, Pocone, Bundesstaat Mato Grosso
Das Verwaltungsgebäude der I-Pharmacia lag in einem kleinen Seitental von Pocone. Umgeben von einem hohen Zaun, schloss sich an das einstöckige, alabasterweiße Gebäude eine große Lagerhalle an. Das helle Sonnenlicht spiegelte sich in zwei Sonnenkollektoren, die neben dem
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