Mutiert
Ermittlungen der dortigen Behörden noch andauerten. Ein Fall in Kanada war auf eine Infektion mit Hanta-Viren zurückzuführen; von dort gab es keine augenfälligen Verbindungen nach Brasilien.
Der Direktor seufzte und schlug die Hände vor das Gesicht. » Meine Damen, meine Herren!«, sagte er betont förmlich zu den Vertretern der einzelnen Staaten. » Wir befinden uns nunmehr in der Phase sechs. Wir sind noch nicht in der Lage, auf die Infektion angemessen zu reagieren, die sich scheinbar trotz aller Vorsichtsmaßnahmen weiter verbreitet und den Cordon sanitaire verlassen hat. Die Letalitätsrate liegt bislang bei einhundert Prozent, aber glauben Sie mir, dieser Wert ist nur von statistischer Bedeutung. Das Virus führt unweigerlich zum Tode des Patienten. Und hier haben wir den großen Unterschied zu Ebola. Die Verläufe variieren temporär, haben aber immer das gleiche Ergebnis – den Tod.«
» Was wissen wir bislang über die Herkunft?«, fragte die Vertreterin Frankreichs.
» Wir können derzeit über die Herkunft des Jatapu-Virus nur spekulieren«, erläuterte der Direktor. » Es könnte sich tatsächlich um eine Variante des Marburg- oder Ebola-Virus handeln, aber bislang ist es noch nicht gelungen, nähere Untersuchungen vorzunehmen. Unser Team ist vor Ort, und die CDC unterstützt unsere amerikanische Sektion. Ich denke, in frühestens zwei Wochen wissen wir mehr.«
» In zwei Wochen kann es schon zu spät sein«, warf der Vertreter Japans ein.
» Meine Damen und Herren, glauben Sie mir, wir arbeiten bei der Entschlüsselung mit Hochdruck. Wir haben ausgebildete Spezialisten vor Ort, und wenn es notwendig wird, dann stellen wir auch noch ein weiteres Team zusammen. Aber zuerst müssen wir wissen, mit welchem Erreger wir es zu tun haben.«
Gemurmel brach unter den anwesenden Regierungsvertretern aus. Phase 6 bedeutete deutliche Einschränkungen mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen für alle Nationen sowie der Einschränkung der Reisefreiheit. Phase 6 hatte begonnen.
27
St. Jude Children’s Research Hospital, Memphis, USA
Als die Oberschwester die Sensoren der medizinischen Überwachungsgeräte angeschlossen hatte, setzte das Herz der kleinen Patientin aus. Der laute, gleichbleibende Signalton des EKG übertönte die hektischen Kommandos der Ärztin.
» Schnell, den Defibrillator, sechzig Joule!«, rief Doktor Raider, zog die Decke zur Seite, sprang auf den Untersuchungstisch und begann mit der Herzdruckmassage. Die Oberschwester ließ die Kabel fallen, rannte in die Ecke und holte den fahrbaren Tisch mit dem Defibrillator. Als sie den Stecker in die Steckdose steckte und das Gerät einschaltete, war ein lautes Summen zu hören. Doktor Raider griff nach den Elektroden und legte sie an den Oberkörper des Mädchens.
» Achtung, Strom!«, rief sie den anderen zu, die ein Stück zur Seite traten. » Drei, zwei, eins, los!«
Sie drückte auf den Schalter an den Paddles, ein kurzes Knacken ertönte, und die Brust und die Schultern des Mädchens zuckten ein klein wenig.
» Gehen wir auf achtzig!«, rief Doktor Raider und wartete, bis die Oberschwester den Regler gedreht und sich das Gerät wieder aufgeladen hatte. Auch beim zweiten Versuch blieb die Linie auf den Überwachungsmonitoren nahe der Null.
» Einhundert!«
Diesmal krampfte sich der Körper des Mädchens unter dem Stromstoß zusammen. Gespannt beobachteten die Anwesenden den Monitor.
» Ich glaube, es hat keinen Zweck«, resignierte die Anästhesistin.
Doktor Raider drehte den Regler des Defibrillators auf einhundertzwanzig Joule. » Ein letzter Versuch«, rief sie atemlos.
Als Doktor Raider den Defibrillator erneut auslöste, zuckte der Körper des kleinen Mädchens unter der Intensität des Stromstoßes zusammen, doch das Herz kam nicht mehr in Gang.
» Keine Chance«, sagte der Pfleger.
Bevor Doktor Raider antworten konnte, wurde die Tür des Behandlungszimmers aufgestoßen. Der Chefarzt betrat das Zimmer.
» Wie sieht es aus, Jane?«, fragte er.
» Zu spät«, erwiderte Doktor Raider. » Herzstillstand. Wir haben es viermal versucht.«
» Brechen Sie ab und versiegeln Sie dieses Zimmer«, befahl der Chefarzt. » Und dann ab zur Desinfektion, duschen Sie alle anständig.«
Doktor Raider schaute den Chefarzt ratlos an.
» Die Polizei ist draußen«, erklärte er der Ärztin. » Die Mutter ist ebenfalls an der gleichen Krankheit verstorben. Spezialisten von der CDC sind unterwegs.«
» Und der Vater?«, wollte Doktor
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